Dass wir in Fabriken Robotern begegnen, ist schon in der Gegenwart möglich. Wird es in Zukunft noch menschliche Fabriksarbeiter geben?

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Wartungsrundgang in der Produktionsanlage eines Chemiekonzerns: Bei der Überprüfung einer Pumpe blickt der Techniker auf das Livekamerabild seines Tablets, in dem "Augmented-Reality-Bubbles" erscheinen – Einblendungen, die Zusatzinformationen anbieten. Mit einem Fingerdruck erscheinen Echtzeitwerte wie die aktuelle Umdrehungszahl des Motors, Baupläne oder Aufgaben für den Techniker.

Das System, das hier im Einsatz ist, stammt vom Kärntner Softwaredienstleister Augmensys. Das Unternehmen konzentriert sich darauf, mittels Augmented Reality, also dem Überblenden von Livekamerabildern, kontextbezogene Daten im industriellen Umfeld zu liefern. "Wir wollen den Menschen befähigen, schnell eine Entscheidung zu treffen, und ihn nicht mit nebensächlichen Daten überhäufen", erklärt Christian Robin von Augmensys. Das System, das sich aus den Datenbanken einer Industrieanlage speist, meldet etwa auch, wenn Sensorwerte auf Fehler hindeuten.

Die Entwicklung von Augmensys veranschaulicht die digitale Vernetzung von industriellen Prozessen. Ein Trend, der im deutschsprachigen Raum als Industrie 4.0 vorangetrieben wird. – Das Schlagwort entstand vor etwa fünf Jahren im Rahmen der Hightechstrategie der deutschen Bundesregierung.

Nach der dampf- und wassergetriebenen Mechanik des 19. Jahrhunderts, nach dem Einzug von elektrischer Energie und Fließbandfertigung und nach der Automatisierung durch Mikroelektronik soll diese vierte industrielle Revolution erneut die Industrie modernisieren. Sie soll. Denn die Revolution wird proklamiert, bevor sie stattgefunden hat. Sie geht einher mit der Aussicht einer Reindustrialisierung Europas und schürt Ängste einer weiteren Verdrängung menschlicher Arbeitskräfte aus dem Produktionsprozess. Der intelligente Roboter ist Hoffnungsträger und Feindbild zugleich.

Industriepolitische Kampagne

"Der Begriff Industrie 4.0 ist Teil einer erfolgreichen industriepolitischen Kampagne, weniger eine unmittelbare Forschungsherausforderung", erklärt Alois Ferscha, Vorstand des Instituts für Pervasive Computing der Johannes-Kepler-Universität Linz. Er wird ab 2017 das Kompetenzzentrum "Pro Future – Products and Production Systems of the Future" leiten, das im Rahmen des Comet-Programms der Förderagentur FFG von Verkehrs- und Wirtschaftsministerium unterstützt wird.

Bei aller Unkonkretheit des Begriffs der Industrie 4.0 stellt er für Ferscha doch eines klar: "Die nächste Generation von Industriesystemen ist an erster Stelle ein Thema der Informatik. Erst danach kommen Mechanik, Elektronik, Maschinenbau und Mechatronik." Den Beweis dafür liefere etwa Google, ein Konzern, der ausschließlich auf Basis von Informatikkompetenzen den Anspruch hat, ein selbstfahrendes Auto zu bauen.

Eine Unterscheidung zwischen realer und digitaler Welt ist für den Informatiker nicht mehr gültig. "Wir haben es mit einer einzigen Welt zu tun, in der die physischen Objekte und Prozesse mit ihren Datenrepräsentationen verschränkt sind. Sensorik, Schlussfolgerungsalgorithmen und intelligente Steuerungstechnik koppeln reale Dinge in engen Feedbackschleifen an ihre virtuellen Gegenparte", so Ferscha.

Reales Verhalten erzeugt Daten, Algorithmen verändern und lenken Verhalten. "Man denke nur daran, wie Navigationssysteme unser Fahrverhalten verändert haben und es bei jeder Staubildung sofort erneut tun." Im neuen Comet-Zentrum werde an "kognitiven Produkten und Industriesystemen" geforscht, die in Ansätzen wahrnehmen, verstehen, interpretieren, lernen – und entsprechend handeln können.

Die Rolle des Menschen

Und welcher Rolle wird in dieser Konstellation dem Menschen zugeschrieben? "Auf der einen Seite wird das Bild einer Maximalautomatisierung gemalt, die von wenigen hochqualifizierten Spezialisten gesteuert wird", erklärt Georg Aichholzer vom Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Gemeinsam mit Kollegen und dem Austrian Institute of Technology (AIT) hat er für das Österreichische Parlament an einer Studie über die gesellschaftliche Dimension der Industrie 4.0 gearbeitet. "Auf der anderen Seite gibt es aber auch das Modell, das nicht von einem Ersatz von menschlichen Arbeitskräften, sondern von ihrer Aufwertung im Dienste eines flexibleren und besser steuerbaren Systems ausgeht."

Fraglos werden geringqualifizierte Arbeitskräfte unter Druck geraten. Tätigkeiten wie Staplerfahren oder Produkte verpacken sind in der Robotikära keine zukunftsträchtigen Jobs mehr – was auch einen Ansatzpunkt für Überlegungen zu einem Grundeinkommen für jeden Menschen in der Zeit der Robotik abgibt. Dennoch: "Menschliche Arbeitserfahrung kann nicht so leicht durch Maschinen ersetzt werden, auch wenn neue Produktionsmethoden in gewissen Bereichen mit dem Gefühl eines Kontrollverlusts einhergehen werden", sagt Aichholzer.

"Grund zur Besorgnis gibt es vor allem dann, wenn künstliche Intelligenz in Bereiche vordringt, in denen es nicht mehr nur um Automatisierung, sondern um tatsächliche Problemlösungskompetenzen geht." Letztendlich bleibt aber offen, wie die Bilanz ausgehen wird, ob die Reindustrialisierung mehr Jobs bringt, als durch Robotik und Vernetzung eingespart werden.

Nicht übers Ziel hinausschießen

Wie nun vernetzte Produktionssysteme tatsächlich in der Praxis Anwendung finden können, wird im Wiener Stadtteil Aspern erprobt. Dort leitet Friedrich Bleicher, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik der TU Wien, mit Kollegen eine Pilotfabrik für Industrie 4.0. In dem von mehreren TU-Instituten, Wirtschaftspartnern und dem Verkehrsministerium getragenen Labor am Standort des TU-Forschungsunternehmens ResearchTUb arbeiten Forscher unter anderem an einem Szenario, das die Fertigung von 3-D-Druckern vorsieht.

Eine "variantenreiche Serienfertigung" mit Losgröße eins steht im Vordergrund: "In der Fertigung der Zukunft können Kunden ihr Produkt nach eigenen Vorstellungen spezifizieren", so Bleicher. Das gilt auch für den 3-D-Drucker aus der Seestadt, bei dem etwa die Größe des Geräts, Aufbau und die Produktionsweise unterschiedlich sein können. Für Bleicher sind die Labors hier sowohl Spielwiese für Forschende und Studierende als auch ein Messestand, der die Möglichkeiten der vernetzten Produktion zeigt. 2017 soll hier ebenfalls ein Comet-Zentrum, das "CDP-Austrian Center for Digital Production", entstehen.

Bei aller Vernetzung plädiert Bleicher für einen Einsatz von IT-Technologie, der nicht übers Ziel hinausschießt. "Werkstücke mittels RFID-Chips zu codieren, die für wenige Cent pro Einheit eine berührungslose Identifikation möglich machen, ist gut und schön. Ich werde in einer Autofertigung aber nicht jeden Pleuel eines Motors damit versehen können."

Die Telearbeitsdiskussion

Moderne Fertigung müsse nicht aus dem urbanen Raum verbannt werden, wo dank Landflucht ohnehin Arbeitskräfte fehlen. Neue emissionsarme Technologien werden ihren Weg in die Städte finden, ist Bleicher überzeugt. "Wir arbeiten an Konzepten einer vertikalen Produktion, in der Materialflüsse über mehrere Stockwerke hinweg verlaufen." Mit flexiblen Produktionstechniken wie dem 3-D-Drucker keimen Hoffnungen auf eine Dezentralisierung und Demokratisierung der Produktion auf. Jeder könne zum Produzenten werden, so die Devise.

Kommt dann statt der Trafik an der Ecke ein Standort für individualisierte Produktion? Technikfolgenforscher Aichholzer erinnern solche Vorstellungen an die Telearbeitsdiskussion der 1990er-Jahre. "Das Internet schürte Hoffnungen, dass massenhaft Telebüros entstehen. Obwohl Arbeitskräfte heute mobiler sind, die Arbeit wurde nicht im erwarteten Ausmaß dezentralisiert."

Beim Austria Wirtschaftsservice (AWS), das Digitalisierung in zwei Programmschienen fördert, ist man überzeugt, dass eine einschneidende Entwicklung bevorsteht, die nicht die Produktion, sondern auch Geschäftsmodelle verändern wird. "Der Prozess der Implementierung der Forschungsergebnisse in die Produktion steht erst am Beginn", sagt AWS-Geschäftsführerin Edeltraud Stiftinger. Ein großer Teil der Start-ups in Österreich sei im Bereich der Digitalisierung tätig. Es gelte, die jungen Unternehmer mit der klassischen Industrie zu matchen, also in der richtigen Weise zusammenzuführen.

Auch Augmensys war einmal ein Start-up, das vom AWS gefördert wurde. Wo im Bereich der Aufbereitung der Industriedaten die Reise hingeht, sieht Robin klar vor sich: Smarte Helme, die Zusatzinformationen am Visier einblenden, werden in wenigen Jahren praxistauglich sein. Die Techniken, die es ermöglichen, Informationen gezielt im Sichtfeld zu verorten, werden genauer.

Vorausschauende Instandhaltung, wobei das System meldet, wenn eine Reparatur bevorsteht, wird an Bedeutung gewinnen. Die Zusammenarbeit mit den Maschinen wird nahtloser. Robin: "Der Mensch wird als zusätzliches Element in das industrielle Netzwerk eingebunden." (Alois Pumhösel, 16.4.2016)