Die Wienerin Susanne Seitinger studierte Architektur und Stadtplanung an der Princeton University und am Massachusetts Institute of Technology, wo sie am Media Lab ihr Doktorat machte. Sie ist Global Sub-Segment Manager bei Philips Lighting.

Foto: Chris Pfaff

Man muss kein Psychologe sein, um zu wissen: Licht weckt Gefühle und hat Einfluss auf das körperliche Wohlbefinden. Sonnenstrahlen stimulieren, grelles, künstliches Licht ist unangenehm. Diffuse Beleuchtung kann anstrengend sein und müde machen. Licht macht uns morgens munter, in der Nacht ist es uns eine willkommene Orientierungshilfe. "Licht wird Menschen nie kaltlassen", sagt Susanne Seitinger von Philips Lighting Professional Systems. Und ergänzt: "Licht geht buchstäblich unter die Haut, beeinflusst uns, zieht uns an, wie ein Herd, wo man sich versammeln möchte. Wir sind dabei nicht viel anders als Insekten, die nachts zur Straßenlaterne fliegen."

Die Wienerin hat schon ihre Dissertation am MIT Media Lab dem Thema Licht in der Stadt gewidmet (Titel: Liberated Pixels: Alternative Narratives for Lighting Future Cities). Nun beschäftigt sie sich auch beruflich mit Straßenlicht, aktuell heißt das: mit der Frage, wie diese doch recht dicht vernetzte Infrastruktur in den Citys für zusätzliche Dienstleistungen genützt werden könnte. Das jüngste Projekt: Im Auftrag des Los Angeles Bureau of Street Lighting wird der Sound der Großstadt aufgezeichnet. Für die seit kurzem laufende Pilotphase wurden deshalb 30 Straßenbeleuchtungen mit Mikrofonen ausgestattet, die den ganzen Tag über alle 15 Sekunden sehr hohe und sehr niedrige Frequenzen aufnehmen.

Der US-amerikanische Lichtkünstler Leo Villareal hat zu Beginn des Jahres die San Francisco Bay Area mit LED geschmückt und damit eine riesige Lichtinstallation geschaffen.
Foto: James Ewing

Schon jetzt seien Muster erkennbar, freut sich Seitinger. "Wir sehen, wann die Leute zur Arbeit fahren, wann sie nach Hause unterwegs sind." Gemeinsam mit Dietmar Offenhuber, der an der Northeastern University in Boston zu Themen wie Information Design forscht, hat man auch Geräuschmuster durch die in der Nähe gelegenen Schulen sichtbar gemacht. Der Grund? "In Los Angeles gehen Schüler in den Pausen ins Freie." Schließlich könne man anhand der Daten sogar feststellen, wo Schall reflektiert wird und sich dadurch noch verstärkt. Am Ende wird eine dreidimensionale Akustikstadtkarte vorliegen, mit deren Hilfe die Umweltbelastung durch Lärm reduziert werden könnte: mittels Verkehrsumleitung oder anderen schalldämmende Maßnahmen. Auch Bäume wären dafür geeignet.

Digital und ansteuerbar

Die Basis für derartige Analysen wurde mit den vergangenen Entwicklungsschritten der Lichttechnologie geschaffen. Seitinger: "Das digital ansteuerbare Straßenlicht hat Standardschnittstellen, die man durch zusätzliche Technologien wie dieses Mikrofonsystem jederzeit ergänzen kann." Ideen für die Nutzung gibt es reichlich: In einem schon etwas länger laufenden Projekt hat Philips Lighting in den Straßenlichtern eines Wolkenkratzer-Stadtviertels Repeater für Handynetze versteckt, weil diese angesichts der hohen Häuser an ihre Grenzen stoßen. Die Funkleistung konnte damit deutlich verstärkt werden.

Auch daran hätte man wohl beim Stichwort "Straßenbeleuchtung" nie gedacht. Wie aber könnte man die zentrale Aufgabe des Straßenlichts, Sicherheit zu geben, effizienter als bisher lösen, um also die Mensch und Natur belastende Lichtverschmutzung zu reduzieren? Seitinger, meint, Städte mit Licht-Managementsystem können jede Straßenlampe so dimmen, wie sie es für richtig halten – und die Helligkeit der Straßen und Plätze, aber auch die Lichttemperatur beliebig programmieren.

In Eindhoven in den Niederlanden werden Bürger eingeladen, an einem Sprachindex des Lichts zu arbeiten. Wann ist Licht in der Großstadt nur Beleuchtung, wann Information, wann gibt es zu viel, wann zu wenig Licht? All diese Fragen könnten in diesem Citizen-Science-Projekt zur Sprache kommen.
Foto: Philips Lighting

Die technischen Voraussetzungen für eine Abkehr von Zeiten der Energieverschwendung sind also gegeben. Seitinger: "Wichtig ist jetzt, dass die Städte sich damit auseinandersetzen und die automatischen Regelsysteme von Licht nutzen, dann wird eine Lösung dieses Problems langfristig möglich sein." Noch sei der Umgang mit dem Thema sehr unterschiedlich: In Großstädten wie Buenos Aires oder Madrid würde man den Fortschritt der Technologie zumindest teilweise nützen, um Strom zu sparen und die Umweltbelastung durch Lichtsmog zu reduzieren.

Es gibt aber auch noch viele Städte, über denen kaum ein Sternenhimmel zu sehen ist: In Deutschland ist das zum Beispiel Frankfurt am Main. Zwischen Philadelphia und Atlanta im Osten der USA ist auf Nacht-Satellitenbildern ein Lichtstreifen zu erkennen.

Am Anfang einer Entwicklung

"Wir stehen eben erst am Anfang einer Entwicklung mit umweltfreundlicheren Beleuchtungssystemen", ist Seitinger überzeugt. Die Straßenlichter, wie wir sie kennen, haben eine relativ kurze Geschichte, wenn man bedenkt, das erst Ende des 19. Jahrhunderts Elektrizität für diesen Zweck genutzt wurde.

Seitinger legt zum besseren Verständnis der Zeitdimensionen einen kulturwissenschaftlichen Vergleich nahe. Viele Kulturen hätten eine jahrhundertelange Tradition im Umgang mit Licht und feiern Lichtfeste. Sie nennt: Diwali in Indien, Weihnachten oder das jüdische Chanukkafest. Sie sind älter als jedes Straßenlicht.

Die Skyline von Buenos Aires: Auch in der argentinischen Metropole versucht man mit intelligentem Lichtmanagement zu arbeiten.
Foto: Philips Lighting

Und wie wird sich die Großstadtbeleuchtung weiter entwickeln? Deutlich wird: Licht ist nicht mehr gleich Licht. Die Technologieentwicklung der jüngsten Zeit erlaube mehr Diffenzierungen als bisher, meint Seitinger: "Wir kennen Licht als Orientierungshilfe oder als Informationsquelle, aber auch Licht, das wärmt und zum Verweilen einlädt." Die Unterschiede müssten in der Bevölkerung erst gelernt werden. In Eindhoven in den Niederlanden ist man deshalb gemeinsam mit den Bürgern auf der Suche nach einer Sprache für Licht. Fünf City-Labs laden zu entsprechenden Tests ein.

Seitinger abschließend: "Beim Thema Licht hat man das gehypte Schlagwort Smart Cities auf den Boden gebracht: Das Bild des monolithischen Kontrollraums, von dem aus die Stadt gelenkt wird, ohne auf Bedürfnisse zu achten, ist Vergangenheit.

Es geht darum, das Stadtleben so angenehm wie möglich zu gestalten." Der einzig mögliche Ansatz, wenn man bedenkt, dass bis 2030 zwei von drei Menschen in Städten leben werden. (Peter Illetschko, 21.11.2016)