Wien – Als "schwarzen Tag für die Bildungspolitik" hat die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) den 6. März 2006 bezeichnet. Ein Mittwoch, an dem die Quotenregelung für die Medizinunis festgelegt und Zugangsregelungen "einzementiert" wurden. Die SPÖ zog nach und erklärte im Mai desselben Jahres, dem Gesetzesbeschluss nicht zuzustimmen. Stattdessen schlugen die Roten vor, die Zahl der Erstsemestrigenplätze in Medizin Jahr für Jahr um 50 zu erhöhen.

Doch es kam anders: Die Quote wurde beschlossen. Seit Herbst 2006 werden im Medizinstudium die Plätze zu 75 Prozent an Anfänger mit österreichischem Reifezeugnis, zu 20 an Beginner aus einem anderen EU-Land und zu fünf an solche aus einem Nicht-EU-Land vergeben. Die EU-Kommission klagte wegen Diskriminierung von EU-Bürgern. 2007 wurde Österreich per Moratorium fünf Jahre Zeit gegeben, um die Notwendigkeit der Regelung zu belegen. 2012 wurde die Quote bis Ende 2016 verlängert.

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Bis Ende des Jahres soll nun die Entscheidung fallen, ob die Regel für Österreichs Gesundheitsversorgung nötig ist und bleiben darf. "Unser wichtigstes Ziel ist eine dauerhafte Verlängerung der bestehenden Quotenregelung oder zumindest ein weiteres Moratorium für mehrere Jahre" , sagt Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) zum UniSTANDARD . Um das zu erreichen, hat das Ministerium seit 2008 einen jährlichen Bericht mit hochschulischen Daten bei der EU-Kommission vorgelegt. Der 181-seitige Abschlussbericht wurde im Oktober dieses Jahres übermittelt. Darin wird eine zunehmende Mobilität festgestellt. Insgesamt haben sich laut Erhebung des Ministeriums heuer 15.130 Anfänger für ein Human- und Zahnmedizinstudium bei 1620 Studienplätzen beworben. Davon entfallen 1476 Anfänger auf Humanmedizin. 19,7 Prozent kommen aus Deutschland.

38 Prozent weniger Österreicher

Während die Zahl der österreichischen Absolventen in diesem Studium rückläufig ist, steigt die Zahl der deutschen Absolventen stetig. Seit dem Studienjahr 2009/2010 haben um 38 Prozent weniger Österreicher abgeschlossen. Dagegen gab es 2009/2010 nur fünf Prozent deutsche Alumni – im vergangenen Studienjahr lag der Anteil bei 18,4 Prozent. Österreich kann davon nur bedingt profitieren. So planen laut einer Absolventenbefragung 60 Prozent der Deutschen, nach dem Studium zurückzuziehen. Laut Ministerium liegt der reale Wert der Rückkehrer um zehn bis 20 Prozent höher.

2014/15 gab es in Österreich laut Ärztekammer an drei medizinischen Unis und der Paracelsus-Privatuni in Salzburg in Summe 1255 Absolventen, aber nur 885 ließen sich nach Abschluss in die Ärzteliste eintragen. "Nach der hochqualifizierten Ausbildung in Österreich entscheiden sich fast 30 Prozent gegen eine medizinische Karriere in Österreich", sagt Mitterlehner.

Trotzdem sieht es laut einer Studie der OECD schlecht aus, dass ein Ärztemangel argumentiert werden kann. In der Erhebung liegt Österreich nach Griechenland innerhalb der EU-Länder auf Platz zwei in puncto Ärztedichte: 5,05 Mediziner kommen auf 1000 Einwohner. 4,11 Ärzte sind es in Deutschland. Polen gehört zu den Schlusslichtern der EU-Staaten mit nur 2,31 Ärzten pro 1000 Einwohner. "Diese Zahlen sind falsch, weil die einzelnen Länder so nicht verglichen werden können", sagt Thomas Szekeres, Präsident der Ärztekammer für Wien. In Österreich würden die Zahlen auch Teilzeitbeschäftigte und Ärzte in Ausbildung miteinbeziehen. Diese seien nicht "voll versorgungswirksam".

Rechne man die Turnusärzte heraus und vergleiche die Anzahl der Ärzte mit eingetragener Berufsbefugnis zur selbstständigen Berufsausübung, ergebe sich ein anderes, "realistischeres" Bild. Demnach kommen in Österreich lediglich 4,32 Ärzte auf 1000 Einwohner. "Plötzlich liegt Österreich bei der Ärztedichte weit abgeschlagen auf Platz 13", sagt Szekeres zum UniSTANDARD.

Im Falle einer Aufhebung der bestehenden Regelungen müsste man andere Maßnahmen ergreifen, um das Gesundheitssystem in Österreich zu schützen und ausreichend Ärzte zur Verfügung zu stellen, sagt Mitterlehner: "Ein Stipendienmodell, wie es etwa in Ungarn oder in einem anderen Modell in Südtirol besteht, wäre eine Möglichkeit, um langfristig ausreichend Medizinabsolventen im Land zu halten." Dem kann Markus Müller, Rektor der Medizin-Uni Wien, nur zustimmen: "Kurzfristig wäre ein Stipendiensystem mit Bleibeverpflichtung eine mögliche Strategie."

Verteilungsproblem, kein Mangel

"Österreich hat keinen Ärztemangel, sondern ein Verteilungsproblem", sagt Johanna Zechmeister (UFMUW), Vorsitzende der ÖH an der Medizinuni Wien. Die Qualität der weiterführenden Ausbildung nach dem Studium müsse verbessert werden. "Solange die Ausbildung in den österreichischen Kliniken keinen Stellenwert hat und es zusätzlich noch Wartelisten für Ausbildungsplätze gibt, werden sich die Absolventen nach Ausbildungsstellen in der EU umsehen", ergänzt ihr Stellvertreter Lukas Wedrich (VSStÖ). Es ginge auch darum, dass "Österreich international wieder attraktiv wird". Die aktuellen Kassenverträge und die Spitalsarbeit in der derzeitigen Form würden vor allem die Jungen nicht ansprechen. "Unsere Absolventen orientieren sich international, deshalb sollten wir uns darum kümmern, gute Ausbildungen und Arbeitsbedingungen anzubieten, dann kommen auch Bewerbungen", sagt Zechmeister.

Auch der Wiener Krankenanstaltenverbund spricht von einem "Verteilungsproblem", jedoch von einem regionalen: Wien würde davon profitieren. "Junge Leute ziehen eher vom Land in die Stadt." Allerdings gebe es in den Fächern Unterschiede: "In den weniger attraktiven spüren wir, dass es nicht immer leicht ist nachzubesetzen."

Müller sieht ein ähnliches Problem: Wegen Pflegekräftemangels und eines Mangels an Administrativkräften gebe es eine "international unüblich hohe Zahl an minderqualifiziert eingesetzten Ärzten". Falls es nicht gelingt, diesen "unqualifizierten Einsatz von medizinischen Arbeitskräften kurzfristig zu beheben", hätte ein Auslaufen der Quote "unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgungsqualität", sagt Müller.

Die ÖH-Bundesvertretung hält an ihrer Kritik von 2006 fest. "Die Quote ist das falsche Mittel, um die österreichische Gesundheitsversorgung zu gewährleisten", sagt Philip Flacke (FLÖ) vom Vorsitzteam. (Oona Kroisleitner, 17.11.2016)