Jan Brandt, "Stadt ohne Engel. Wahre Geschichten aus Los Angeles". € 23,70 / 384 Seiten. DuMont-Buchverlag, Köln 2016

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Für Literaturstipendiaten gibt es zwei Möglichkeiten, hat man eine solche Alimentierung ergattert. Man sitzt im Winterregen in Rheinsberg, in Orten wie Bergen-Enkheim, einem gesichtslosen Vorort des gesichtslosen Frankfurts am Main, in Edenkoben in der Pfalz, als "Esslinger Bahnwärter" nahe Stuttgart, als "Burgschreiber zu Beeskow" sechs Monate lang im tiefsten Brandenburg, als Stadtschreiber in Otterndorf an der Nordsee zwischen dem Atomkraftwerk Brunsbüttel und Bremerhaven, oder auf dem Künstlerhof Schreyahn in Lüchow im Wendland, umgeben von den weltbekannten Orten Lemgow, Lübbow, Waddeweitz und Schnega.

Entweder man ignoriert Lübbow, Waddeweitz und Schnega und schreibt umweltabgewandt. Oder man taucht als teilnehmender Beobachter ein in die unmittelbare Umgebung. Man darf sich drei Monate lang in der Villa Aurora in Pacific Palisades im Großraum Los Angeles, Kalifornien, USA, aufhalten, was leichter fällt.

Was Jan Brandt im Sommer 2014 widerfuhr. Und davon, von der Megalopolis, ihren Projektionen, Leben, Schicksalen, Seichtigkeiten, ihrem Wahnwitz handeln die "wahren Geschichten" in Stadt ohne Engel, das im Titel die Umfahrung von Klischees in Aussicht stellt. Er schreibt auf, was er erlebt, sieht, mit wem er spricht.

Er porträtiert eine 14-Jährige, die auf einem Flohmarkt Auftragsgedichte verfasst. Unterhält sich mit einer Autorin über Amazons Marktmacht. Wird ums Haar Augenzeuge eines Mordes. Trifft sich mit einem deutschstämmigen Gastrounternehmer, der ein Currywurstrestaurant betreibt (das dann schließt). Spricht mit einer Jungschauspielerin aus dem Mittleren Westen über ihre Träume.

Brandt, Jahrgang 1971, schreibt leichthändig über so Kurioses wie ein riesiges DDR-Museum. Über in L.A. Naheliegendes wie eine erotische Party auf einem Hoteldach. Über eine Kirche mit Heiler- und Selbstoptimierungskursen. Über einen Besuch des Unterhaltungsparks von Universal City.

Auch nach Watts, eigentlich für Weiße eine No-go-Area, kommt er, lässt sich einen Tag lang von einem Gangsterrapper, der sich als umgänglich erweist, führen. Und natürlich schreibt er über sich, die Mitstipendiaten, das große Anwesen, einst Besitz des Schriftstellers Lion Feuchtwanger, über Empfänge, Filmabende und die Gäste. Unmotiviert allerdings muten die an jedes Kapitel aus Twitter, Facebook, Zeitungsmeldungen gebastelten angehängten "Gedichte" an.

Die deutsche Literatur verfügt ja überschaubar nur über Reportagequalität. Brand durchaus. Statt aber unbedingt die "Joan Didion der deutschen Gegenwartsliteratur" werden zu wollen, ohnehin vermessen, hätte es Brandt nicht geschadet, auch noch eine Pri- se Wahnwitz aus den Büchern Hunter S. Thompsons, Bill Cardosos, Tom Wolfes sich auszuleihen. Nicht zu vergessen einen großen Schluck P. J. O'Rourke. (Alexander Kluy, Album, 19.11.2016)