Ali Moini verbindet seinen Körper mit einer Marionette.

Foto: Alain Scherer

Wien – Jetzt, beim Festival out of b/order im Tanzquartier Wien, zeigen Künstlerinnen und Künstler aus dem Nahen und Mittleren Osten brandaktuelle choreografische Arbeiten. Brisant dabei sind nicht nur dokumentarische Werke à la Rabih Mroué, sondern auch Stücke, die Stimmungen und Denkweisen von Menschen vermitteln, die uns Westlern immer noch rätselhaft erscheinen.

In nächster Zukunft wird im Kulturbereich verstärkt von Postkolonialismus die Rede sein. Gemeint ist damit die Aufarbeitung des alten staatlichen Kolonialismus und die Kritik eines neuen Kolonialismus, der eine heikle Mixtur aus ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen darstellt.

Bei out of b/order wird das Schlagwort vom Postkolonialismus vermieden. Aber die gesamte Kuratierung läuft auf eine Darstellung entsprechender kultureller Austauschprozesse hinaus – so, wie sie sich im zeitgenössischen Tanz darstellen. Konkret eben nicht auf der Ebene von Folklore, sondern auf jener eines gegenwärtigen Kunstschaffens.

Im ersten Teil des Festivals Anfang November war das unter anderem bei Arbeiten von Danya Hammoud, Bassam Abou Diab oder Nacera Belaza zu sehen. Nun, in Teil zwei (bis Samstag), gaben Youness Atbane, Ali Moini und Taoufiq Izeddiou ihre künstlerischen Statements ab.

Moini verband seinen gesamten Körper für sein Stück Man anam ke rostam bovad pahlavan mit einer schlichten, lebensgroßen Metallmarionette. Als Gegengewichte in einem komplizierten Seilsystem dienten rund fünfzig Plastikwasserflaschen. Wie ein Laokoon kämpfte der Performer mit den Tücken seiner Konstruktion: ein Sinnbild dafür, welche Herausforderungen komplexe Strukturen an ihre Nutzer stellen.

Taoufiq Izeddiou setzte unter dem Titel En Alerte eine Warnung ab, und zwar ganz konkret vor den "unheimlich anziehenden Kräften von Religionen und deren Konfliktpotenzial". Was dem Programmtext schön klar zu entnehmen ist, stellt sich im Stück als schwer zu deutendes psychologisches Spiel darüber heraus, dass der spekulativen Spiritualität des Westens in den Ländern Nordafrikas eine ganz andere Funktion der Religion gegenübersteht.

Diese fasste STANDARD-Nahostexpertin Gudrun Harrer am Donnerstag in einem Vortrag zum Auftakt von out of b/order, Teil zwei, mit Verweis auf die – umstrittenen – Thesen des französischen Islamismusexperten Olivier Roy so zusammen: "Der Islamismus fischt in den Bassins des Linksradikalismus." Es geht um Widerstand.

In einer Szene bei En Alerte trug Izeddiou einen Motorradhelm mit Stirnleuchte – die Suche nach einem wahren Weg. "Ich brauche eine Umarmung", sagte der Tänzer zum Publikum. Er bekam sie erst nach langem Zögern. Über die Wege, die die westliche Gegenwartskultur anbietet, machte sich Youness Atbane aus Marokko lustig. Ein weiterer Versuch, die verwirrten Europäer aufzuklären. (Helmut Ploebst, 18.11.2016)