Weihnachtswunder gefragt: Michael Häupl steht für eine Stadtpolitik, die man als USP gegenüber dem Rest Österreichs verkaufen könnte. Das Gegenteil passiert gerade.

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Vor kurzem hatte man es eilig und geriet – no na – prompt in eine U-Bahn-Störung. Überall auf der Welt wäre das ein Grund für Nervosität. Nicht so in Wien: Die Reise mit den Öffis dauerte, trotz Mit-der-Kirche-ums-Kreuz-Fahrens, exakt sieben Minuten länger als sonst.

Es mag nicht immer so schnell und glatt gehen in der Bundeshauptstadt, aber: Die Infrastruktur funktioniert einwandfrei. Straßen- und U-Bahnen funktionieren weitgehend reibungslos, das Jahresticket ist deutlich günstiger als in anderen Millionenstädten, die Müllentsorgung klappt immer, es gibt keine No-go-Areas und keine Ausländerghettos, stattdessen sozialen Wohnbau, eine große Auswahl an (Ganztags-)Schulen und Kindergärten – und wer arm, krank oder sonstwie bedürftig ist, wird verlässlich unterstützt, gepflegt, kuriert. Dazu kommt: In der Stadt ist extrem viel los, sie ist lebendig und modern, kulturell spannend, aufgeschlossen und vergleichsweise wenig fremdenfeindlich, vielmehr kosmopolitisch.

Antithese Wien

So kann man Wien sehen, die einzige Millionenstadt Österreichs, die Antithese zum kleinstädtisch und ländlich geprägten Rest des Landes. So sollte man Wien sehen, wenn man hier SPÖ-Politiker ist. Denn diese Partei hat die Stadt geprägt wie keine andere, und sie hat vieles, was das Leben hier lebenswert macht, auf den Weg gebracht – von der Donauinsel bis zum Gratiskindergarten. Das hat viel Geld gekostet, aber auch dazu geführt, dass Steuermittel sprudelten (und immer noch sprudeln).

Man könnte also durchaus selbstbewusst auftreten und als positive USP verkaufen, was andere kritisieren. Doch davon ist man in der Wiener SPÖ weit entfernt: Es wird gemotzt, geraunzt und – Stichwort Flüchtlinge, Stichwort Mindestsicherung – genau ins Horn der ÖVP und der FPÖ, des größten Feindes der Wiener Roten in der Bundesregierung, geblasen. Maßgebliche Teile der Wiener SPÖ-"Basis", die bevölkerungsreichen Bezirke, die einst Werner Faymann und stets einen konservativen Betonsozialismus unterstützten, wollen das "System Häupl" stürzen, nicht mehr und nicht weniger.

Begleitgeräusche

Ginge es hier um Inhalte, um wirkliche Reformen, wäre das zu verstehen: Wie so oft, wenn eine Partei (zu) lange in einer Machtposition verharrt, hatte der Fortschritt in Wien oft auffällige Begleitgeräusche: Der Beamtenapparat ist in vielen Bereichen aufgeblasen und finanziell üppig ausgestattet, die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Stadtregierung, Stadtverwaltung und Partei sind vielfältig und höchst intransparent, es wimmelt von Günstlingen und seltsamen personellen Entscheidungen. Oft werden vermeintliche sozialdemokratische Interessen brutal und rücksichtslos durchgesetzt.

Es gäbe also viel zu reformieren, ohne die grundsätzliche Ausrichtung der Stadtpolitik infrage zu stellen. Darum geht es aber den Häupl-Kritikern gar nicht. Im Gegenteil: Einerseits geht es um kleinteilige Bezirksegoismen ("Mehr Geld für mehr Straßen!"), andererseits – und das ist das Gefährliche – wollen sie die Stadt komplett verändern: Mindestsicherung kürzen, Flüchtlinge raus, weg von der "Willkommenskultur", stattdessen: "Sicherheit" und Abgeschlossenheit, nur "auf unsere Leut' schauen" – wer immer die sind, und was immer das bedeuten mag.

Schielen auf die FPÖ

Das Hauptmotiv für diese Haltung ist, dass viele sozialdemokratische Funktionäre natürlich sehen, wie gut die FPÖ mit diesen Slogans ankommt. Sie fürchten (zu Recht) nichts mehr, als dass diese Partei die nächsten Wahlen gewinnt, und glauben, bei einer entsprechenden thematischen Gleichschaltung mit den Blauen diesen Trend aufhalten zu können.

Genau das Gegenteil wird der Fall sein. Wer seine Meinung um 180 Grad dreht, wird vollends unglaubwürdig und sicher keine Alternative für Wutwähler. Wähler suchen bei Politikern nach Sicherheit: Da vorne soll eine oder einer stehen, die oder der weiß, wohin die Reise gehen soll. Genau da liegt das Problem: Die Wiener SPÖ ist mittlerweile eine zutiefst verunsicherte Partei, die an der Richtungsfrage zu zerbrechen droht. Nur mehr die Person Michael Häupl scheint sie noch – mühsam – zusammenzuhalten. Wer auch immer aus diesem Lagermachtkampf als Sieger hervorgeht, wird es schwer haben.

Für Wien und die Wiener bedeutet das wahrscheinlich nichts Gutes. (20.11.2016, Petra Stuiber)