Wolfgang Zinggl, Nationalratsabgeordneter und Kultursprecher der Grünen, ist mit der bisherigen Aufarbeitung der Burgtheater-Causa nur teilweise zufrieden. In Kulturminister Thomas Drozda allerdings setzt er entschieden Vertrauen.

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Wien – Die Liste jener Museumsdirektoren, die wegen fragwürdigen Umgangs mit Steuergeld und Mitarbeitern abtreten mussten, wurde über die letzten Jahre immer länger. Politischer Druck zur Aufklärung kam dabei meist von Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen seit 2004. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein.

STANDARD: Direktorenschreck, Scharfrichter, Inquisitor – alles Zuschreibungen, die Ihre Gegner gegen Sie in den letzten Jahren vorgebracht haben. In welcher Rolle sehen Sie sich selbst?

Zinggl: Na ja, das sind alte Zuschreibungen aus der Zeit noch vor dem Krieg. Es kann ja nicht sein, dass Compliance-Regeln in allen staatlichen Institutionen selbstverständlich sind und nur im Kulturbereich nicht gelten. Seitdem ich in der Kulturpolitik bin, ist auf diesem Sektor daher einiges passiert. Die Ära der launischen Seitenblicke-Diven scheint langsam dem Ende zuzugehen. Ich habe mich immer gefragt: Braucht die Kunst das? Gibt es neben den Stars nicht auch Leute, die hervorragende Arbeit leisten, aber im Schatten stehen müssen?

STANDARD: Braucht es einen Ethikkodex für Museumsleitungen?

Zinggl: Nein. Der soziale Umgang mit dem Team muss selbstverständlich sein. Nach und nach verstehen das ohnehin bald alle Führungskräfte.

STANDARD: Manche sagen, Direktoren würden durch scharfe Regeln zunehmend biedermeierlich und mutlos. Am Ende verliere auch die Kunst an Strahlkraft.

Zinggl: Wenn anstelle der Kunst die Führungskräfte der Museen mit Besucherrekorden strahlen, ist das für eine Kulturpolitik, die etwas weiterbringen soll, nicht förderlich. Besucherzahlen sind ein positives Nebenprodukt wie die Auflagenstärke oder Visits von Zeitungen. Die tatsächliche Arbeit aber liegt im aufklärenden und vermittelnden Anspruch, dem sollten wir uns verpflichtet fühlen.

STANDARD: Bei Ex-Kunsthallen-Chef Gerald Matt entschied der Oberste Gerichtshof, dass Sie die Vorwürfe teils widerrufen müssen. Ist das bereits passiert?

Zinggl: Um keine neuerlichen Prozessintentionen von Herrn Matt zu provozieren, werde ich mich dazu nicht mehr äußern.

STANDARD: Matt sprach zuletzt auch im Fall von Belvedere-Direktorin Agnes Husslein von Vorverurteilung und grünen Inquisitoren.

Zinggl: Geschäftsführungen, die über Jahre ihren Mitarbeiterstab so schlecht behandeln, dass der beginnt, sich aufzulehnen, sind nicht mehr akzeptabel. Wir haben qualifizierte Leute in den Museen, die das Recht auf eine menschenwürdige Behandlung haben. Und im Fall Husslein sind dann auch noch Compliance-Verstöße dazugekommen, die sie selbst bestätigt hat. Da muss es Konsequenzen geben, sonst bräuchte es keine entsprechenden Regeln.

STANDARD: Dass gegen Kulturminister Drozda (SPÖ) eine Anzeige wegen Verdachts auf Untreue in seiner Zeit als Bühnenchef erstattet wurde, blieb von Ihnen bislang unkommentiert. Warum diese Zurückhaltung?

Zinggl: Ich habe mir die Anzeige angesehen. Es sind teilweise schwere Vorwürfe. Aber ich kann mich dazu nicht äußern, wenn es keine Belege gibt oder Zeugen. Das habe ich immer so gehalten.

STANDARD: Beim Burgtheater will Drozda keine Rechnungshofprüfung für die Zeit vor 2008, wo er kaufmännischer Direktor war, veranlassen. Was halten Sie davon?

Zinggl: Nichts. Mir wäre es recht, wenn der Rechnungshof von sich aus tätig wird, um diese Jahre zu überprüfen.

STANDARD: Wie sehen Sie die übrige Aufarbeitung der Causa Burgtheater?

Zinggl: Jedes Management hat zwei Säulen: eine personelle Führung und eine strukturelle Kontrolle. Bricht eine dieser beiden Säulen ein, ist das noch keine Katastrophe. Erst wenn beide versagen, wird das zum GAU. Und genau das hatten wir beim Burgtheater. Minister Ostermayer hat danach Personen ausgewechselt. Und tatsächlich scheinen die neuen Leitungen gut und sorgsam zu arbeiten. Die Kontrollstruktur ist aber leider nach wie vor dieselbe geblieben.

STANDARD: Aber es heißt, 90 Prozent der Rechnungshofvorschläge seien umgesetzt.

Zinggl: Compliance-Regeln zählen zum Beispiel zu den Punkten, die noch nicht umgesetzt wurden. Warum eigentlich nicht? Und nach wie vor hat das Parlament keine Möglichkeit, Fragen zu den einzelnen Bühnen zu stellen. Bei den Bundesmuseen funktioniert das, nicht aber bei den Theatern, weil da die Holding zwischengeschaltet ist.

STANDARD: Halten Sie die Holding bei den Theatern weiterhin für sinnvoll? Auch bei den Bundesmuseen gibt es die Idee einer Holding. Wie stehen Sie dazu?

Zinggl: Es gibt Bereiche, die lassen sich besser und sparsamer gemeinsam verwalten. Von einer Holding als genereller rechtlicher Struktur halte ich aber nichts. Und die Bundestheater-Holding hat in den letzten Jahren zu dieser Meinung einiges beigetragen.

STANDARD: Die neue Direktorin im Belvedere, Stella Rollig, will das stark touristisch frequentierte Haus intellektueller ausrichten. Ein schwieriger Spagat?

Zinggl: Es gibt natürlich die Tourismuskomponente. Letztlich hilft der Tourismus bei der Finanzierung sperrigerer Dinge. Aber auch Touristen wollen nicht überall das Gleiche und Repräsentative sehen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was allein über eine stärkere Konzentration auf die Vermittlung möglich wäre. Und da meine ich nicht mehr Text an den Wänden, sondern thematische Didaktik. Die Bilder der Gemäldegalerie im KHM zum Beispiel ließen sich hervorragend in ihre historischen Abhängigkeiten gebettet erzählen.

STANDARD: Von Ihnen wurde wiederholt der Vorschlag eingebracht, die Sammlungen neu zu ordnen. Aber wer außer den Grünen will das überhaupt?

Zinggl: Es ist doch seltsam, dass im MAK gerade japanische Holzschnitte präsentiert werden, die zu einem Gutteil aus der Sammlung Leopold kommen und als grafische Arbeiten eigentlich in der Albertina gezeigt werden müssten. In der Ausstellung "Fremde Götter" im Leopold-Museum werden ozeanische und afrikanische Masken gezeigt, wiewohl das Weltmuseum mit Sicherheit die geeigneteren Objekte und die fachkundigere Vermittlung zu diesem Thema liefern könnte. Aber das Weltmuseum wiederum ist Teil des Kunsthistorischen Museums, was ohnehin ein völliger Blödsinn ist. Die meisten Exponate dieses Museums haben mit Kunst so viel zu tun wie Medizin oder Kochkunst.

STANDARD: Stella Rollig und KHM-Chefin Haag haben gesagt, sie hielten von einer Neuordnung der Sammlungen nichts.

Zinggl: Ich spreche ja gelegentlich mit Direktorinnen und Direktoren. Und hinter vorgehaltener Hand sagen sie sehr wohl, dass sie Objekte gerne tauschen und damit ordnen wollen. Aber natürlich können sie das nicht öffentlich sagen, solange Konkurrenzdruck angesagt ist. Hat nicht Stella Rollig im STANDARD-Interview auch gemeint, es sei seltsam, dass Hubert Scheibl im Unteren Belvedere ausgestellt wird und eine Ausstellung über das Bett in der Kunstgeschichte im 21er-Haus?

STANDARD: Was erwarten Sie diesbezüglich von Drozdas angekündigter Museumsreform?

Zinggl: Ehrlich gesagt wenig, weil das Mut, einen langfristigen Plan und Geld erfordern würde. Das wird er sich in der restlich verbleibenden Legislaturperiode nicht mehr antun. Mehr erwarte ich mir bei der Reform der Kuratorien.

STANDARD: Die wollen Sie zu echten Aufsichtsräten umbauen. Beschickt werden sollen die Gremien aus einem Expertenpool per Losentscheid?

Zinggl: Das war nur einer meiner Vorschläge. Man könnte sie auch nach dem Vorbild der Universitätsräte beschicken. Wichtig ist, dass mehr Qualität und mehr Unabhängigkeit in diese Gremien kommt.

STANDARD: Drozdas Entscheidungen wurden von Ihnen zuletzt allesamt gelobt. Wodurch unterscheidet er sich von Ostermayer?

Zinggl: Ich nehme ihm ab, dass er aufgrund vernünftiger Argumente entscheidet. Mir gefällt, dass er vielen Seiten zuhört und bereit ist, Vorschläge aufzunehmen.

STANDARD: Im Gegensatz zu Ostermayer lässt er sich von den Grünen etwas sagen?

Zinggl: So habe ich das nicht gesagt. Es gibt ja viele, die er anhört. Und ich bin auch nicht mit jeder Entscheidung einverstanden. Aber seine abwägende analytische Art finde ich gut.

STANDARD: Ostermayers Haus der Geschichte entsteht jetzt als Drozdas Provisorium nur in einer Schmalspurvariante. Wie ist die Position der Grünen dazu?

Zinggl: Geschichte verändert sich ständig, man kann sie nicht museal einfrieren. Daher wäre eine Dachinstitution vor allem für den Geschichtsunterricht in den Schulklassen sinnvoll, die mit den vielfältigen historischen Arbeiten im Land vertraut ist. Also kein weiteres aufgeblähtes Museum. Das jetzige Provisorium geht vielleicht in diese Richtung.

STANDARD: Käme ein Neubau für die Grünen infrage?

Zinggl: Reden wir in der nächsten Legislaturperiode darüber.

(Stefan Weiss, 21.11.2016)