Lou Mavrakis liebt derbe Worte. Er kann fluchen wie ein Bierkutscher – oder besser wie der Stahlkocher, der er früher mal war. Und um drastisch zu beschreiben, wie seine Stadt seit Jahren vergammelt, hat er sich eine Metapher zurechtgelegt, die seine Besucher schockieren soll. "Wenn die Schurken des IS nach Monessen kämen, würden sie glatt weiterziehen. Sie würden sich sagen, sparen wir uns das, jemand hat diesen verdammten Ort bereits bombardiert." Dann zieht der Bürgermeister von Monessen eine Schublade auf und holt drei Briefe heraus, alle geschmückt mit seinem Amtssiegel.

Dreimal, im April, im Juni und im Juli, hat er an Barack Obama geschrieben. "Lieber Herr Präsident, ich brauche Ihre Hilfe", lautete jedes Mal der erste Satz. Monessen habe keine Zukunft, wenn die Stadt nicht das Geld erhalte, das sie brauche, um wenigstens ihre schlimmsten, von Ratten bevölkerten Häuserruinen abreißen zu können. Die Regierung, schrieb Mavrakis, pumpe Milliarden an Steuergeldern in Länder, die Amerika hassten, während sie die Probleme im eigenen Land ignoriere. Obama möge mit Hillary Clinton nach Monessen kommen, um den Menschen das Gefühl zu geben, dass man sie nicht im Stich lasse, bat Mavrakis. Auf eine Antwort, sagt er, warte er bis heute. Wer kam, war Donald Trump.

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Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung Ende Juni in einer Aluminiumrecyclingfabrik in Monessen.
Foto: REUTERS/Louis Ruediger

Auf dem Hof einer Aluminiumrecyclingfabrik hielt der Tycoon eine Rede, über die Mavrakis sagt, dass sie für die Leute zumindest ein Hoffnungsschimmer war. Ein zweites Mal greift der Bürgermeister in eine Schublade, diesmal reicht er einen Zettel mit Wahlergebnissen über den Tisch. Rund 800 Monessener, die 2012 noch für Obama gestimmt hatten, sind zu den Republikanern, zu Trump, übergelaufen, liest er aus dem Resultat heraus. "Und ich sage Ihnen, falls hier früher einer für die Republikaner war, dann war er gut beraten, das nicht an die große Glocke zu hängen."

Monessen liegt südlich von Pittsburgh im Tal des Monongahela River, im Steel Valley, wie es einst hieß. Der Name der Stadt geht zurück auf Essen, kombiniert mit einem Mon für Monongahela. Rauchende Schlote, Stahlschmelzen, Walzwerke, Ruß und Einkaufsstraßen voller Passanten: ein zweites Ruhrgebiet im Südwesten Pennsylvanias, so sieht man es auf alten Fotos. Aus Monessen kam das Blech für die Autos von Chrysler, von hier kamen die Stahlseile der Golden Gate Bridge. Starke Gewerkschaften kämpften für Löhne, von denen sich die Malocher ein bescheidenes Häuschen kaufen und ihre Kinder aufs College schicken konnten. Für die Gewerkschaften kämpften die Demokraten, während die Republikaner auf der anderen Seite der Barrikade standen. Lange wirkte das Raster nach, auch dann noch, als im Steel Valley keine Schlote mehr rauchten. Aus diesem Grund, meint Mavrakis, hätten Demokraten wie Obama und Clinton wohl geglaubt, dass sie sich um eine Stadt wie Monessen nicht zu kümmern brauchen. "Sie dachten, sie hätten unsere Treue gepachtet. Und das ist nun die Quittung." Die Wahl, poltert er, sei ein Votum mit dem Mittelfinger gewesen.

Wenn Mavrakis, Sohn eines griechischen Einwanderers, an seinem Bürofenster steht und die Industrielandschaft am Fluss in Gedanken wiederaufleben lässt, packt ihn die Wehmut. "Schauen Sie, 23.000 Jobs im Radius von zweieinhalb Meilen. Und was ist davon übrig geblieben? Eine Kokerei mit 181 Arbeitsplätzen." 7.500 Menschen leben noch in Monessen, es waren einmal 25.000. 400 Gebäude sind baufällig. Unter offenen Dächern sammelt sich Taubenkot, in den Häuserhöhlen spritzen sich Heroinsüchtige nachts Rauschgift in die Venen. Erst vor ein paar Tagen starben zwei junge Männer an einer Überdosis.

"Wenn Sie jetzt denken, ich sei naiv, dann kann ich nur sagen, Sie irren sich", antwortet Mavrakis, wenn man ihn nach Trumps großen Verheißungen fragt. Natürlich wisse er, dass die Hochöfen nicht zurückkehren ins Steel Valley. Natürlich sei ihm klar, dass sich Stahl in China billiger kochen lasse. Natürlich habe Trump den Mund zu voll genommen, als er in Monessen versprach, eine Renaissance der amerikanischen Stahlindustrie einzuläuten. "Aber wissen Sie was, wenigstens hat er sich für uns interessiert."

Lou Mavrakis, der Bürgermeister von Monessen, am Fifth Avenue Hotel, einst benannt nach der Prachtstraße in New York, an der Donald Trump lebt. Heute eine Ruine.
Foto: Frank Herrmann

Im Rostgürtel der alten Industrie, in Staaten wie Pennsylvania, Michigan, Ohio und Wisconsin, hat der Populist das Duell gegen Clinton zu seinen Gunsten entschieden. In Pennsylvania ist er seit 1988 der erste Republikaner, dem die Wähler im Rennen ums Weiße Haus den Vorzug vor den Demokraten gaben. Was in Monessen geschah, hat sich hundertfach wiederholt im Rust Belt.

Auch in Scranton, am anderen Ende des "Keystone State", knapp fünf Autostunden vom Steel Valley in Richtung Nordosten. 76.000 Einwohner, ein Ort, der in mindestens zwei Politikerbiografien eine wichtige, mit Symbolik überfrachtete Rolle spielt. Joe Biden wuchs in der Stadt auf, in seinen Reden steht ihr Name als Synonym für die Werte der Arbeiterklasse – Solidarität, Pflichtgefühl, Verlass aufeinander. Hillary Clinton, deren Vater Hugh Rodham aus Scranton stammt, wurde dort in einer Methodistenkirche getauft. In Scranton kam sie in der Wahlnacht zwar als Erste durchs Ziel, aber mit viel knapperem Vorsprung, als es die Demoskopen vorausgesagt hatten.

Im Gewerkschaftslokal Nr. 489 steht Robert Cosgrove unter einem Poster, das die Erbauer eines Wolkenkratzers hoch über Manhattan sitzend auf einem Stahlpfeiler zeigt, und wirkt wie die personifizierte Ratlosigkeit. Der Mann hat Arme, die hart und dick sind wie Laternenpfähle. Er hat Jahre auf Baustellen verbracht, um Stahlgerüste hochzuziehen. Jetzt spricht er von seiner Angst vor Trump, dem Kahlschlagsanierer. "Nein, ich erwarte nichts Gutes von ihm", sagt Cosgrove.

Der Geschäftsmann sei gewiss kein Freund der Gewerkschaften, er stehe für die Theorie der Trickle-down-Ökonomie, nach der Wohlstand von oben nach unten durchsickere, was noch nie funktioniert habe. "Er redet zwar davon, dass die Vergessenen im Land nicht länger vergessen sind. Aber was heißt das konkret?" Eines muss der schnauzbärtige Hüne dem Immobilienmogul lassen: ein feines Gespür für Stimmungen. "Er ist ein exzellenter Verkäufer. Er hat den Vereinigten Staaten von Amerika Donald Trump, den Präsidenten, verkauft." Er verstehe den Frust, der viele bewog, ihn zu wählen, sagt Cosgrove. Die Wut auf eine politische Klasse, die nichts mehr zustande zu bringen scheine. Aber einen Kurswechsel erzwingen zu wollen, indem man auf eine Comicfigur wie Trump setze, das verstehe er nicht.

Robert Cosgrove, Chef des Gewerkschaftslokals Nr. 489.
Frank Herrmann

Brian Dowd (27), bis vor kurzem Student der Politikwissenschaften, hat für Jill Stein gestimmt, die Kandidatin der Grünen: "Hillary hätte ich nicht wählen können, mein Gewissen hätte es nicht zugelassen." In den Vorwahlen hat er Bernie Sanders den Zuschlag gegeben, das Programm des linksgerichteten Senators habe ihm gut gefallen. "Bei uns wird Erfolg nur noch am Geld gemessen. Wir müssen endlich die Anbetung des Reichtums beenden", sagt Dowd.

Er zerbreche sich seit Tagen den Kopf, finde aber keine Antwort auf die Frage: Warum haben so viele kleine Leute für Trump gestimmt? "Der ist mit dem Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen, aber das schien seine Wähler nicht zu interessieren." Brians Vater Mike Dowd, Installateur, ein Leben lang Demokrat, hat seine Stimme dem Milliardär aus Manhattan gegeben. Dabei handelte er nach dem Prinzip, jeden zu wählen, nur nicht Clinton, die er für unehrlich hält. Außerdem hätten sich die Demokraten zu weit vom realen Leben in Scranton entfernt. Für Mike Dowd ist es unverständlich, dass sich eine Partei um die gleichgeschlechtliche Ehe mehr kümmert als um Arbeitsplätze. So sieht er es zumindest.

Unterstützer Donald Trumps bei einer Wahlkampfveranstaltung in Scranton Anfang November.
Foto: APA/AFP/DOMINICK REUTER

Lou Mavrakis fährt kreuz und quer durch Monessen, steile Abhänge hinauf und wieder hinunter. Er nennt es seine Ruinentour. Im Fifth Avenue Hotel, das so heißt wie die Straße, in der Donald Trump in New York wohnt, steht noch die Bar. Es riecht nach Schimmel, die Teppiche sind von Moos überzogen. Ein Fall für den Bulldozer, meint Mavrakis. Gegenüber verfällt der rote Backsteinklotz einer aufgegebenen Textilfabrik. "Wenn Herr Trump käme, um seine Krawatten hier nähen zu lassen statt drüben in China, dann wäre das schon ein Anfang. Dann würde ich sagen, ja, Monessen bekommt auch ein kleines Stück ab vom großen Kuchen", sagt Mavrakis. Zwölf Monate will er dem nächsten Präsidenten Zeit geben, dann will er sehen, ob er liefert, ob den Sprüchen Taten folgen. "Wenn nicht, fange ich an, ihm Briefe zu schreiben." (Frank Herrmann aus Monessen und Scranton, Pennsylvania, 22.11.2016)