Wien – Sie ist einer der All-Time-Hits klassischer Wunschkonzerte – Antonín Dvoráks 9. Symphonie Aus der Neuen Welt mit ihren vielfach abgedroschenen Melodien. Dabei kann sie dank ihrer origineller Gedanken noch immer unerhört frisch wirken, wie sich am Sonntag im Musikverein zeigte. Doch eigentlich förderte Dirigent Robin Ticciati gemeinsam mit dem London Philharmonic Orchestra noch wesentlich mehr zutage – nämlich einen großen Anspruch, der sich mit den Symphonien der deutsch-österreichischen Tradition unbedingt messen möchte.

Ticciati ist ein erfreuliches Gegenbeispiel zu seinen Dirigentenkollegen, die den optischen Eindruck ihrer kommunikativen Bemühungen weniger auf das Orchester als auf das Publikum zu münzen scheinen. Seine Zeichen sind sparsam wie effizient, dabei so elastisch, um stets für lebendige Linienführung und ausgeglichene Transparenz zu sorgen.

Der Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra und Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera schien bei Dvorák beide Seiten der Medaille gleichermaßen ernst nehmen zu wollen: sowohl das Füllhorn kompositorischer Einfälle als auch den Ernst, jeder Stimme im Orchestergewebe einen Sinn geben zu wollen. Somit gab es neben dem perfekten Glanz und der Phrasierungskunst plastische Tiefenstrukturen und motivische Verbindungen zu ergründen, über die sonst gerne hinweggehuscht wird.

Gleichsam als Gegenstück zu diesem fulminanten Feuerwerk an Lebensbejahung waren Dirigent und Orchester zu Beginn des Abends in die Abgründe von Robert Schumanns Manfred-Ouvertüre gedrungen – mit aller gebührenden Düsternis und feinem, dramaturgischem Zeitgefühl, das sie ebenso im Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy demonstrierten.

Mit ihrem perfekt gestählten Geigenton thronte Anne-Sophie Mutter, die am Donnerstag mit Klavierpartner Lambert Orkis nochmals mit einem Solo-Recital zu hören sein wird, souverän inmitten des Ganzen und stellte zur Routiniertheit recht viel an flexiblem Ausdruck, mitunter wesentlich ruppiger als von ihr gewohnt. Das galt noch für die Gigue aus der d-Moll-Partita, die die Solistin als Zugabe musikantisch abschnurren ließ, sie jedoch auch mit erdigem Nachdruck pfefferte. (Daniel Ender, 21.11.2016)