Rund tausend Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht mehr schulpflichtig sind, sollen in den Jugendcolleges in den Wiener Bezirken Alsergrund und Favoriten unterrichtet werden.

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Wien – Heute sitzt Hoda in einem kleinen Klassenzimmer. Auf der Tafel steht "Hier ist es zu laut zum Telefonieren." Die 19-Jährige aus dem Irak lernt, wie Verben im Deutschen auch als Nomen verwendet werden. Bis sie mit elf anderen jugendlichen Flüchtlingen in einem Kurs des Wiener Jugendcolleges sitzt, hat es einige Zeit gedauert. Vor fünf Jahren ist ihr Vater, ein irakischer Arzt, nach Österreich geflohen und wollte die Familie nachholen. Über ein Jahr wartete das Mädchen mit ihren fünf Geschwistern und der Mutter auf den Familiennachzug. Letztendlich traten sie selbst die Flucht über das Mittelmeer an.

Alphabetisierung bis Matura

In Wien angekommen plante das Mädchen, die Schule fertig zu machen, sie hatte kurz vor der Matura ihr Heimatland verlassen. Da sie aber nicht mehr schulpflichtig ist, fiel sie aus dem Schulsystem. "Diese Jugendlichen hatten eine schlechte Perspektive", sagt Inte-grationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Für Jugendliche wie Hoda rief die Stadtregierung das Wiener Jugendcollege ins Leben. Seit September soll dadurch für Asylwerber und Asylberechtigte zwischen 15 und 21 Jahren eine Lücke geschlossen werden. Insgesamt 1000 Plätze an zwei Standorten (im 9. und 10. Wiener Gemeindebezirk) werden für die kommenden drei Jahre finanziert. Pro Jahr sind rund sechs Millionen Euro veranschlagt, die Hälfte davon kommt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, die andere Hälfte teilen sich Stadtregierung und der Fonds Soziales Wien.

"Neu angekommene Menschen dürfen nicht zum Nichtstun gezwungen werden, sondern müssen sich in die Gesellschaft einbringen", erklärt die Staatssekretärin für Diversität im Kanzleramt Muna Duzdar, die für die SPÖ innerhalb der Koalition für Integration zuständig ist.

Die Jugendlichen, an die sich das Jugendcollege richtet, seien sehr unterschiedlich. Etwa 80 bis 100 von ihnen stünden erst ganz am Anfang, sie würden erst alphabetisiert werden müssen.

Ziel: 30 Prozent Mädchen

240 Mädchen und 760 Buben besuchen die Bildungseinrichtung, das Ziel sei aber die 30-Prozent-Marke. "Jeder Standort hat einen Mädchenraum als Rückzugsmöglichkeit", sagt Projektleiterin Marie Steindl von den Volkshochschulen. Auch in den Klassen würde darauf geachtet werden, dass immer mindestens drei Mädchen zusammen den Kurs besuchen. Formalen Abschluss gibt es jedoch keinen. Nach durchschnittlich neun Monaten sollen die Jugendlichen neue Wege einschlagen. Wenn die Deutschkenntnisse gut genug sind, könne vom College auch früher in sogenannte Übergangsklassen gewechselt werden. In diesen sollen die Jugendlichen auf den klassischen Weg zur Matura gebracht werden. Aber nicht alle werden Matura machen, "auch eine Lehre ist ein möglicher Weg" , sagt Frauenberger. "Wien hat bei der Intregration eine Vorreiterrolle" , sagt Duzdar. Sie will das Konzept auch "bundesweit ausrollen". (Oona Kroisleitner, 22.11.2016)