"Lifeblood" heißt das Album der Band Manic Street Preachers, für dessen Gestaltung Mark Farrow engagiert wurde. Passt zum Titel.

Foto: Mark Farrow

Er war groß und picksüß, der Kuchen des britischen Pop-Zeitalters. Kräftig an diesem mitnaschen durfte der Designer Mark Farrow, der mit seinen exakt ausgerichteten Schriftzügen und entschlackenden Entwürfen auf LPs und CDs eine ganze Ära prägte. Ausgezeichnet wurde er dafür unter anderem mit dem Titel Graphic Designer of the Year oder Royal Designer for Industry. Auch wenn der 56-Jährige 2015 die Kampagne für die Sängerin Roisin Murphy und ihre Platte Hairless Toys oder Say it to me von den Pet Shop Boys gestaltete, meint er, dass die nächste Generation gar nicht mehr wissen werde, was ein Album war.

STANDARD: Wie steht es um die LP?

Mark Farrow: Es gibt einen erstaunlichen Trend in den vergangenen Jahren. Entweder soll Musik gar nichts kosten – oder es darf richtig teuer sein. Einige Fans von bestimmten Bands wie New Order oder den Pet Shop Boys sind bereit, viel Geld für ein besonderes Design auszugeben. Sie wollen nicht nur die Compact Disc zu Hause haben, sie wollen eine aufwändige Vinylpressung, die sie sich wie ein Kunstwerk zu Hause ins Regal stellen. Gerade bei den Pet Shop Boys beobachte ich dieses Phänomen. Wir kreieren Final-Box-Sets, Limited Editions, die sich allesamt sehr gut verkaufen.

STANDARD: Sie reden leidenschaftlich über Popmusik. Ist sie schuld daran, dass Sie Grafikdesigner wurden?

Farrow: Absolut, als ich 16 war, wusste ich, dass ich nie gut genug sein würde, um Musiker zu werden. Ich konnte nicht singen, kein Instrument spielen, aber die Covers entwerfen. Ich hatte mehr Platten zu Hause als Erfahrungen mit Mädchen. Mit zwölf Jahren entdeckte ich T. Rex, die auf ihren Zwölf-Zoll-Singles bereits ein Logo und Bilder hatten. Zum ersten Mal verstand ich, dass sich hier jemand die Mühe gab, eine Platte gut aussehen zu lassen, dass es eine Verbindung zwischen Musik und Grafikdesign gab.

STANDARD: Mit 19 Jahren arbeiteten Sie erst einmal in einer Werbeagentur in Manchester ...

Farrow: ... ein Brotjob, ich wurde abgestellt, um Broschüren über Bohrmaschinen zu entwerfen. Dafür ging ich samstags meiner Leidenschaft nach und arbeitete in einem kleinen Plattenladen.

STANDARD: Bei Discount Records gingen damals Peter Savile, der Grafikdesigner von Joy Division, und Tony Wilson, der Gründer des Plattenlabels Factory Records, ein und aus.

Farrow: Die Wände waren voller Plattencover, mein Traum war, dass eines Tages eines von mir dort hängen würde. Ich wollte unbedingt Teil dieser Welt werden. Eines Tages lernte ich tatsächlich Musiker kennen, Tony Wilson nahm sie unter Vertrag, sie hießen die Stockholm Monsters, und die Band fragte mich, ob ich nicht ihr Cover entwerfen möchte. Ich habe natürlich sofort zugesagt.

STANDARD: Was war auf dem Cover zu sehen?

Farrow: Das Stück hieß Fairytales, also ließ ich die Single wie ein altes Märchenbuch aussehen, mit einem alten Zeichensatz darauf. Das war der Beginn meiner Karriere.

STANDARD: 1985 landeten Sie bei XL Design, die ein visionäres Geschäftsmodell entwickelten.

Farrow: Ich war nicht der größte Fan ihrer Arbeit, ich fand viele Cover zu unaufgeräumt, sie waren nicht klar genug. In den 1980er-Jahren mussten alle Bands von der Platte grinsen, die Buchstaben purzelten riesig herum, und es war schrecklich bunt. XL hatte ein beachtliches Portfolio: Frankie goes to Hollywood, eine der bekanntesten Bands damals, ließen ihre Platten bei XL entwerfen. Die Firma war in einen Bereich für Design und einen für Management unterteilt. Theoretisch konnte eine Popgruppe alles bei uns bestellen: Fernsehspots, Plattencover, Promotouren. Kurz nachdem ich bei XL angefangen hatte, sollte ich für eine neue Band eine Maxi entwerfen – die Pet Shop Boys.

STANDARD: Was haben Sie gemacht, dass aus einem Auftrag eine 30-jährige Arbeitsbeziehung erwuchs?

Farrow: Sie mochten bereits die Cover, die ich für Factory Records entworfen hatte. Für ihre nächste Single, die West End Girls hieß, sollte ich die Remix-Maxi entwerfen. Obwohl ich das ursprüngliche Cover der Single hasste.

STANDARD: Wieso?

Farrow: Es gab zwei unterschiedliche Zeichensätze, ein Schriftzug war horizontal, ein anderer vertikal und blockig – und alles in drei oder vier verschiedenen Farben. Es war das genaue Gegenteil meiner Arbeit.

STANDARD: Ihr Stil wurde einmal als "Minimalismus in Farbe" bezeichnet.

Farrow: Ich räumte auf, entfernte die Typografie vom Cover, bis nur noch die Farbbalken übrig blieben. Ich warf alles weg, was an den Namen der Band und ihren Hit erinnerte.

STANDARD: Warum stimmt die Energie zwischen Ihnen noch?

Farrow: Weil es keine Egos mehr gibt, dafür kennen wir uns zu lange. Zum Beispiel wollten sie für die aktuelle Single Say It To Me ein Foto von Keyboarder Chris Lowe verwenden, auf dem er mit einer metallenen Kugel auf dem Kopf zu sehen ist. Als ich mit meinem Geschäftspartner im Studio darüber nachdachte, kam uns die Idee, die Kreisform einfach als Sprechblase zu gestalten – und es sah fantastisch aus. Die Pet Shop Boys sahen den Entwurf und sagten: Vergesst unseren Einfall, eurer sieht besser aus.

STANDARD: Was mögen Sie an klaren Linien?

Farrow: Wahrscheinlich bin ich nur faul. Nein, Scherz beiseite, das ist mein tiefsitzender Sinn für Ästhetik. Wenn Sie mir Gemälde von Monet und Rothko zeigen, werde ich einen Rothko immer ansprechender finden. Ich fühle mich hingezogen zu Dingen, die sauber aussehen.

STANDARD: Sie sagten einmal, Sie seien aus der Musik rausgewachsen.

Farrow: Ein Albumcover ist ein Spielplatz für Designer. Man kann machen, was man möchte. Als Kreativer suche ich aber nach neuen Herausforderungen. Ich verstehe natürlich Menschen, die sagen: Ein Album für die Pet Shop Boys zu entwerfen muss doch mehr Spaß machen, als an einem Zeichensatz zu arbeiten. Nur will ich nicht ständig auf ein Quadrat reduziert sein – um es mal bildlich zu formulieren. Und seitdem die Marketingabteilungen nicht mehr so mutig wie in den 1990er-Jahren sind, muss ich mir andere Betätigungsfelder suchen.

STANDARD: Wo fanden Sie mehr kreative Freiheit?

Farrow: Wir entwerfen viele "identities", kreieren also Logos und Schriftsätze für Firmen. Die Plattenfirma EMI wurde vor einigen Jahren von Universal aufgekauft, ein Teil davon wurde zu Capitol, wir wurden damit beauftragt, eine neue Bildsprache für sie zu entwerfen. Wir sind in der Musikbranche geblieben, aber es hatte nichts mehr mit Platten zu tun.

STANDARD: Sie sind quasi in die Manageretage aufgestiegen.

Farrow: Oder ganz salopp: Wir haben uns auf einmal mit den Dingen für Erwachsene beschäftigt. Ein anderes Beispiel ist die Schuhmarke Camper. Sie kam auf uns zu, weil sie ein Regattaboot für das Volvo Ocean Race ins Rennen schickte und für das Segel ein neues Design brauchte. Ein wunderbares Projekt, das gar nichts mit Pop zu tun hatte.

STANDARD: Was passiert in Zukunft mit der Kunst, ein Plattencover zu entwerfen?

Farrow: Ich kann mir im Moment keinen Grafikdesigner vorstellen, der davon träumt, Plattencover zu entwerfen. Diese Jobbeschreibung existiert nicht mehr. Die nächste Generation wird gar nicht mehr wissen, was ein Album war. An den ersten Alben der Pet Shop Boys arbeiteten wir ein Jahr, es gab drei oder vier Singles, zwei 12-Inch-Remix-Maxis, CD-Singles, Vinylauflagen, jetzt ist alles digital. Man ist froh, wenn sich jemand nach ein paar Monaten noch an die Platte erinnert. (Ulf Lippitz, RONDO, 17.12.2016)