Wien – Fast 300 Personen sind aus Österreich in den Jihad gezogen, informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz. Knapp 90 von ihnen sind wieder zurückgekehrt. Rund 50 Personen seien zudem daran gehindert worden, auszureisen und in den Jihad zu ziehen. Aus Sicht des Direktors des Verfassungsschutzes, Peter Gridling, seien diese rund 140 Menschen "nicht zu unterschätzen".

Gridling warnt im Ö1-"Morgenjournal" am Dienstag: "Die Lage ist bei uns bei weitem nicht so ruhig, wie man das vielleicht manchmal annimmt. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der islamistische Terrorismus auch für Österreich eine große Bedrohung darstellt."

Deutsche Polizei gegen Koranverteilungsaktion

Gridling nimmt auch Bezug auf die große Salafisten-Razzia vor einer Woche in Deutschland. Die Maßnahme richtete sich vor allem gegen die Koranverteilungsaktion "Lies!", die dem politischen Salafismus zugeordnet wird – er ist für viele Jihadisten der "Startpunkt auf dem Weg in den Jihad", so Gridling. Der österreichische Verfassungsschutz sehe die "Lies"-Aktion ebenfalls durchaus kritisch.

Bei "Lies!" handelt es sich um eine 2011 in Deutschland gestartete Koranverteilungskampagne. Ziel ist es laut Experten, in Deutschland, Österreich und der Schweiz insgesamt rund 25 Millionen Exemplare zu verteilen. Laut dem Sprecher des deutschen Verfassungsschutzes, Bodo W. Becker, handle es sich um eine Propagandaaktion. Der Hintergrund sei die Rekrutierung von Anhängern.

Reichsbürger in Österreich

Ein weiteres Thema im "Morgenjournal" waren die rund 800 Personen, die sich den Reichsbürgern zuordnen. Laut Gridling werden diese Staatsverweigerer in zwei Gruppen eingeteilt: jene, die nur Naturrecht für sich gelten lassen wollen, und jene, die sagen, dass das Deutsche Reich nicht zu existieren aufgehört habe. Es werde nur die Rechtsordnung vor dem Entstehen der Zweiten Republik anerkannt. "Diese Personen haben immer wieder Querverbindungen zu Rechtsextremisten oder rechtsextremistischen Verschwörungstheorien", sagt der Verfassungsschutz-Chef.

Zudem sehe er ein Zunehmen der internationalen Vernetzung in dem Bereich. "Das sollte doch ein Warnzeichen sein", sagt Gridling. Unter den bekannten Personen gebe es auch Waffenbesitzer. Aus Sicht der Polizei ist das ernst zu nehmen. "Ich denke, man muss auch über den Entzug der waffenrechtlichen Dokumente sowie eine Beschlagnahmung von Waffen nachdenken. Das muss im Einzelfall geprüft werden", sagt Gridling.

Abwehramt-Leiter sieht Österreich gut vorbereitet

Der Leiter des Heeres-Abwehramts, Rudolf Striedinger, sieht die Republik Österreich auf einen Terroranschlag gut vorbereitet. Mit dem "Kommando Schnelle Einsätze", das sich durch einen hohen Kaderanteil auszeichnet und in einem Ring rund um Wien angesiedelt ist, gebe es im Bedarfsfall ein rasch verfügbares Kommando, sagte Striedinger am Dienstag beim Grundrechtetag des Rechtsanwaltskammer.

Die Terrorbekämpfung sei derzeit auch einer der Schwerpunkte des Bundesheeres. Man stimme die Abläufe von Polizei und Militär aufeinander ab, damit das Bundesheer bei einem größeren Terroranschlag unterstützend eingreifen kann.

Den Plänen der Regierung, dem Bundesheer in Krisenfällen auch im Inland Aufgaben zu übertragen, steht Striedinger abwartend gegenüber. Es gebe rund um das geplante Krisenkabinett zwar auch "unverdächtige Punkte", aber da etwa der Schutz kritischer Infrastrukturen zu einer originären Aufgabe des Heeres werden soll, "muss man sich genau überlegen, was das heißt", so Striedinger.

Bundesheer "relativ gut drauf"

Das Bundesheer sei momentan "relativ gut drauf" und werde politisch gut vertreten. Dennoch sei die Ordnung der Republik wichtig, es müsse nach wie vor einen behördlichen Auftrag für das Tätigwerden des Heeres geben. Dieser komme in der Regel aus dem Innenministerium.

Sogenannte Reichsbürger, die staatliche Autorität ablehnen, stuft Striedinger als "ernsthafte Bedrohung" ein, auch für das Militär durch Subversion. Im Heer habe es einen solchen Fall gegeben, dieser sei aber rechtzeitig erkannt worden.

Das Heeres-Abwehramt hat weiters religiösen Extremismus im Visier. Es gehe beispielsweise darum, dass keine radikalisierten Personen im Grundwehrdienst sind, die durch die militärische Ausbildung eine Gefahr darstellen könnten. Laufend geprüft werde auch, ob es bei Soldaten einen Nahbezug zu Links- oder Rechtsextremismus gebe. Vor allem unter Rechtsextremen gebe es einen gewissen Zug zum Militär. (APA/red, 22.11.2016)