Günther Burstyn

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Das 1:1-Modell im Heeresgeschichtlichen Museum Wien.

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Das kleine Modell demonstriert, wie Burstyn sich den Vorstoß über den Schützengraben vorgestellt hat.

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Leonardos Entwurf war ein ganz früher.

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Der Austro-Daimler stammt von 1905 und ist wohl der Urahn der Radpanzer, idealtypischer Einsatzzweck: Aufklärung.

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Ein Mark I während der Schlacht an der Somme im September 1916. Im Vergleich dazu zeigt sich die Modernität von Burstyns Entwurf: Turm mit Hauptbewaffnung, Wanne, Gleiskette.

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Der Einstieg der k. u. k. Streitkräfte ins Panzerzeitalter begann ungewöhnlich früh – und endete vor dem Ersten Weltkrieg auch gleich wieder. Die Geschichte geht so. Als junger Kavallerieoffizier durfte Graf Heinrich Schönfeldt – der 1911 als Mitglied des "Eisernen Teams" mit Ferdinand Porsche und Eduard Fischer die Alpenfahrt gewann – 1906 beim Kaisermanöver Franz Joseph den ersten Panzerwagen vorführen, von Austro-Daimler (gilt heute als Urahn der Radpanzer), mit manuell um 360 Grad schwenkbarem MG-Turm. Er war bis dahin erfolgreich für Aufklärungszwecke erprobt worden. Ob des Motorenlärms fiel der 75-jährige Generalstabschef vom scheuenden Pferd, woraufhin der autoskeptische Kaiser den Panzerwagen als unbrauchbar für die Armee erklärte.

Erste Kettenpanzer

Im September 1916 tauchten dann erstmals Kettenpanzer auf den Schlachtfeldern in Frankreich auf, Mark I hießen diese Ungetüme auf Ketten (der Mark IV war 1917 der erste Panzer in Serienproduktion), die endlich wieder Bewegung in den Grabenkrieg bringen sollten. Gelang in diesem ersten Ansatz nicht und auch nicht in der ersten Panzerschlacht der Geschichte, der von Cambrai Ende 1917, aber der Panzer war damit in der Welt und ist trotz Drohnenkriegs von keinem Kriegsschauplatz wegzudenken.

Neben den englischen Marks wirkt nun Günther Burstyns 1911 vorgestellter und am 28. Februar 1912 beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin angemeldeter Entwurf eines Panzerkampfwagens geradezu revolutionär. Die Einschätzung bestätigt auch Franz Brödl, im Heeresgeschichtlichen Museum Wien (HGM) Experte für Militärtechnik und auch für die dortige Panzersammlung zuständig – er spricht vom "Archetyp des modernen Kampfpanzers". Kein Wunder, weist er doch schon die heute gewohnte Panzersilhouette auf: Turm mit Hauptbewaffnung (Maschinenkanone 37 mm), Wanne mit geneigten Flächen, Kettenlaufwerk.

Dienstreise

Die Idee dazu sei Burstyn bei einer Dienstreise von Trient, wo er seit 1906 im Geniestab Dienst versah, zum Kriegshafen in Pola (Istrien) gekommen, so Brödl weiter – die dort gesehenen Torpedoboote inspirierten ihn zu seinem Entwurf, den er als "Landtorpedoboot" sah. Jedenfalls fällt ihm diese Idee wieder ein, als er den Austro-Daimler-Panzerwagen 1906 bei der Ausstellung für Straßenfahrzeuge im Wiener Rathaus sieht. Er sieht dort wohl auch einen Kettentraktor von Caterpillar-Vater Benjamin Holt und übernimmt den Kettengedanken für seinen Entwurf – allerdings erweitert um Federelemente. Zeitlebens setzt Burstyn sich deshalb gegen den Vorwurf des Ideenklaus zur Wehr.

Patentschrift

Hatte Burstyns Urentwurf von 1911 für die Straßenfahrt noch absenkbare Räder vorgesehen, so kamen die in der Patentschrift nicht mehr vor – da rückten dann die Grabenüberschreitfähigkeiten in den Vordergrund der Überlegungen. Grund war die Beschäftigung mit dem Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905), bei dem erstmals der Grabenkrieg im großen Maßstab aufgetaucht war.

Burstyn dachte zur Überwindung der Gräben Ausleger vorn und hinten an, die nach Meinung des HGM-Experten Brödl wohl nicht funktioniert hätten, aber immerhin war die Problemstellung erkannt. Fragen wirft die Position des Fahrers hinterm Turm auf, mit Blickrichtung retour. Jedenfalls, der Entwurf wurde abgelehnt, an der militärischen Weitsicht Österreichs hat sich seit ewig nichts geändert, klassisches Erfinderschicksal. Das tatsächliche Potenzial bei konsequenter Entwicklung des Burstyn- und auch Austro-Daimler-Vorschlags? Enorm, meint Brödl. Trotz mangelnder industrieller Kapazitäten hätten die Panzerentwürfe den Verlauf des Weltkriegs massiv verändern können.

Lebensgeschichte

Dramatik bietet auch das Leben Burstyns genug. Geboren 1879 in Bad Aussee als Sohn einer zum Katholizismus konvertierten jüdischen Familie aus Lemberg, konvertierte er seinerseits anlässlich der Heirat mit seiner evangelischen Frau Gabriele Wagner (1888-1945) zu deren Bekenntnis – in der erzkatholischen Monarchie nicht zwingend karrierefördernd. Doch man erkannte sein Talent und steckte ihn nach der Hainburger Pionierkadettenschule in das Eisenbahn- und Telegrafenregiment, das technische Eliteregiment.

Die weiteren Schritte, auch seinen Dienst im Bundesheer der Ersten Republik als nunmehr Major Burstyn im Heeresmuseum (heute HGM), blenden wir aus. Spannend wird es wieder mit dem Zweiten Weltkrieg. Zwar nach den Nürnberger Gesetzen (Halb-)Jude, zeigt er an der wehrtechnischen Entwicklung im Rahmen der Wehrmacht großes Interesse, erfindet die Panzersperren Igel und Betonhöcker und darf 1941 Hitler persönlich seine Idee einer Panzerfähre vorstellen. Er ist vom Reichskanzler tief beeindruckt. 1944 verleiht ihm (und Autokonstrukteur Hans Ledwinka) die TU Wien das extrem seltene Ehrendoktorat. Ein Wochenschaubericht zeigt, wie Panzergeneral Heinz Guderian dem schon halbblinden 65-jährigen Dr.-Fritz-Todt-Preis-Träger das Anerkennungsschreiben überreicht. Als 1945 die Rote Armee anrückt und bereits nahe vor seiner Heimstatt Korneuburg steht, erschießt sich Burstyn – "aus Angst, als ,großer deutscher Erfinder' von den Russen verschleppt zu werden", so Brödl. Den Kopfschuss überlebte er noch einen halben Tag ... (Andreas Stockinger, 30.11.2016)