Geoff Dyer: Großmeister des Writer’s Block.

Foto: Marzena Pogorzaly

Wien – Prokrastination erklärt sich als deutsches Wort "Aufschieberitis" von selbst. Unangenehme Tätigkeiten auf ein Morgen oder bestimmt irgendwann demnächst einmal zu verschieben, kennt jeder. Auch die Ausreden: Ich habe morgen Schularbeit. Meine Mutter ist krank. Heute kann ich nicht, ich bin total fertig, mein Vater wählt FPÖ. Und so weiter.

In der Abwasch wohnen zwischen dem Geschirr inzwischen die Fruchtfliegen. Die Winterreifenmontage reicht auch noch im Jänner. Das Finanzamt soll sich jetzt einmal nicht so haben.

Bei Schriftstellern ist das alles oft noch viel schlimmer. Schließlich hadern sie gewöhnlich nicht nur mit der Welt, sondern auch mit sich selbst. Das Bedürfnis, etwas auf später zu verschieben, verdankt sich hier manchmal dem ungesunden Freizeitverhalten einerseits. Andererseits kann man selbst im Arbeitseifer Möglichkeiten entdecken, eine Sache nicht und nicht in Angriff zu nehmen.

In seinem schon 1997 im englischen Original und nun auf Deutsch vorliegenden, nun, ja, "Roman" Aus schierer Wut berichtet der britische Autor Geoff Dyer etwa von der Möglichkeit, etwas nicht zu schreiben, indem man sich lieber endlose Notizen über ein Thema macht, von dem man schon ahnt, dass man dabei nie zu einem Endergebnis gelangen wird. Wer zaudert, hat verloren. Morgen ist das Heute von Gestern. Morgen kommt von Sorgen.

Dyer hält sich vom Verfassen eines Romans damit ab, dass er gleichzeitig (k)eine Biografie über den Schriftstellerkollegen D. H. Lawrence schreiben will. Der beschäftigte sich zwar einst keineswegs nur mit erotischem Liebes-Schmafu, ist der Nachwelt heute allerdings hauptsächlich wegen Lady Chatterleys Liebhaber bekannt. Für Literaturliebhaber: verfilmt 1981 mit Sylvia "Emmanuelle" Kristel!

Während also der sich furios selbstbezichtigende Dyer den Lebensstationen des Kollegen in Italien, Griechenland oder Mexiko nachreist und in seinem Thema so gar keinen Zauber entdecken will, hadert er gleichzeitig mit der Unmöglichkeit des Romans – weil er sich mit D. H. Lawrence abplagen muss, mit dem er sich nicht um die Burg ... Ja, geht es noch?!

Nebenbei erfahren wir von der Unmöglichkeit Italienisch zu lernen, warum Meeresfrüchte böse – und warum die Abgeschiedenheit einer griechischen Insel dem Schreiben höchst abträglich sind. Das alles ist im Stil einer Thomas Bernhardschen Suada abgefasst, über die der Leser herzlich laut lachen kann. Sobald er das Buch sicher vielleicht gleich morgen einmal oder so in die Hand nimmt. (Christian Schachinger, 22.11.2016)