"Wenn wir noch ein politisches Projekt Europa haben und das aktivieren wollen, dann muss dieses Projekt auf dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz seiner Bürger beruhen", sagt Ulrike Guérot.

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Ulrike Guérot im Gespräch mit STANDARD-Herausgeberin Alexandra Föderl-Schmid.

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Trump-Sieg, Brexit und Eurokrise – an Themen mangelte es am Mittwochabend nicht, als das EY Women's Network zum Kamingespräch mit Ulrike Guérot, Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung der Donauuniversität Krems, lud. Was unter dem Titel "Herausforderung Europa – Wie die EU sich ändern muss" begann, wurde bald zum eher düsteren Ausblick auf das Projekt Europa.

Durch den Sieg Donald Trumps bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl werde das amerikanisch-russische Verhältnis völlig neu aufstellt, meint Guérot. Auch die Debatte um die europäische Verteidigungspolitik habe einen neuen Schub bekommen. Dass es nach dem Sieg des populistischen Republikaners nun aber tatsächlich eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik geben wird, bezweifelt sie: "Es krampft doch schon sehr."

Auch die Ankündigung Trumps, nun aus Freihandelsabkommen auszusteigen, sieht sie kritisch. Schon in den 1920er-Jahren habe es eine ähnliche Phase des amerikanischen Isolationismus gegeben: "Aber wenn die Amerikaner nun damit anfangen, werden andere Nationen nachziehen", und diese Politik sei auch einer der Mitauslöser der Weltwirtschaftskrise gewesen. Dabei sieht Guérot Teile von Ceta und TTIP selbst durchaus kritisch, aber man solle sich die Frage stellen, "ob man gleich den Baum fällen will oder die Früchte besser verteilt".

Brexit "nicht machbar"

Noch pessimistischer wurde es, als die Mitbegründerin des European Democracy Lab in Berlin auf den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der EU, zu sprechen kam: "Unisono höre ich, im Grunde ist es nicht machbar." Die Verwebung mit dem Binnenmarkt sei schlichtweg zu groß. "Es treten eine Menge rechtliche Probleme auf, von denen keiner weiß, wie man sie lösen kann."

Und während nun sogar britische Regionen Mitsprache bei den Brexit-Verhandlungen fordern würden und die Mitbestimmung des Parlaments vor Gerichten eingeklagt werde, würden in der Zwischenzeit Realitäten geschaffen: Firmen würden sich nach anderen Standorten umsehen oder bereits auf das europäische Festland umziehen. "Ich glaube, es wird ein Desaster", sagt Guérot.

Deutsche Dominanz schädlich

Mitverantwortlich dafür sei auch die deutsche Europapolitik. Die Dominanz der Bundesrepublik im europäischen System habe Europa nicht gutgetan und Schaden verursacht: "Das Nichthandeln Deutschlands in der Eurokrise – dieses 'too little too late' – war der Moment, in dem viele Länder in Europa mental ausgestiegen sind und quasi eine innere Kündigung vollzogen haben."

Natürlich würden die Krisenländer auch selbst für ihre Probleme mitverantwortlich sein, aber es seien strukturelle Gründe in der Sparpolitik gewesen, die die Krise verstärkt haben. Die Politologin glaubt, dass man nun zeitverzögert die Konsequenzen aus Entwicklungen sieht, deren Grundstein schon 2012 gelegt wurde, und meint damit neben dem Brexit auch den Aufstieg populistischer Bewegungen in ganz Europa: "Wir merken das erst, wenn es zu spät ist."

Europäische Republik

Den Optimismus hat sich Guérot für den Schluss aufgespart: Um die nunmehrige Krise Europas zu lösen, plädiert sie für eine europäische Republik, "weil man sich in einen Binnenmarkt nicht verlieben kann und weil jedes politische Projekt emotional gebunden sein muss. Wenn wir noch ein politisches Projekt Europa haben und das aktivieren wollen, dann muss dieses Projekt auf dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz seiner Bürger beruhen."

Das sei auch die ursprüngliche Idee des europäischen Projekts gewesen, nämlich die Nationalstaaten zu überwinden, damit die großen Staaten nicht permanent die kleinen übervorteilen. Es gehe nicht darum, eine europäische Identität zu schaffen, sondern um eine normative Einheit – gleiches Recht für alle bei Beibehaltung der kulturellen Vielfalt: "Das ist, was wir mit Europa immer wollten: Einheit in Vielfalt." (red, 24.11.2016)