Wer keine Verantwortung übernimmt, wird irgendwann eben zur Verantwortung gezogen. Das Europaparlament hat sich diese Freiheit genommen und den türkischen Staatspräsidenten mit der Konsequenz der fortgesetzten Missachtung europäischer Grundwerte konfrontiert. Die Beitrittsgespräche mit der Türkei sollen "vorläufig eingefroren" werden, so lautet – fraktionsübergreifend – die Aufforderung an EU-Kommission und Mitgliedsländer. Tayyip Erdoğans Wandlung zum autoritären Staatschef, der Journalisten und Oppositionspolitiker ins Gefängnis werfen lässt und die Gewaltenteilung zwischen Parlament, Justiz und Exekutive bereits zu einem großen Teil aufhob, hat ihren Preis.

Man mag es drehen und wenden, das Parlament der 510 Millionen Bürger in Straßburg kleinzureden versuchen und den rechtlich nicht bindenden Charakter der Resolution betonen: Es ist eine große politische Niederlage der Türkei. Und es wird ihre größte seit Gründung der Republik vor bald 100 Jahren sein, sollten nach dem EU-Parlament auch die EU-Regierungen tatsächlich einmal die Aussetzung oder das Ende des Beitrittsprozesses beschließen. Die Westorientierung der Türkei wäre dann gescheitert.

Erdoğan will sie ohnehin nicht mehr. Wer wie er seine Partner in EU und Nato nun täglich als Unterstützer von Terrorismus und als lügnerische Islamfeinde beschimpft, arbeitet gezielt auf das Ende des Beitrittsprojekts hin. (Markus Bernath, 24.11.2016)