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Unter der Führung von Toto Wolff setzte Mercedes zum sportlichen Höhenflug an. Der Weltmeistertitel 2016 ist der dritte in Folge.

Foto: Reuters/Ebenbichler

Wien – Der Grand Prix von Abu Dhabi am Sonntag (14 Uhr MEZ, live ORF 1, RTL und Sky) ist der letzte Akt des WM-Duells der Stallrivalen Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff blickt Richtung Finale.

STANDARD: Nico Rosberg kann mit einem dritten Platz in Abu Dhabi seinen ersten WM-Titel einfahren. Wird er dem Druck standhalten?

Wolff: Nico ist mental so stark, dass ich mir keine Sorge mache. Ich erlebe ihn als ruhig und fokussiert. Er hat in den vergangenen Rennen einen tollen Job gemacht und fährt kaltschnäuzig Richtung Ziel. Wenn alles normal läuft, ist er am Sonntag Weltmeister.

STANDARD: Zuletzt sah es so aus, als würde er den Vorsprung in der Weltmeisterschaft nur noch verwalten. Ist das bereits ein Zeichen von Schwäche?

Wolff: Überhaupt nicht. Er fährt mit Hirn, und das ist auch richtig so. Nico soll nicht in jeden Zweikampf gehen, ihm reichen die zweiten Plätze. Am Ende interessiert niemanden, wie die WM gewonnen wurde. Es wäre Unsinn, als Held im brasilianischen Regen in einen Zweikampf zu gehen und dann in der Leitplanke zu enden.

STANDARD: Lewis Hamilton hat bereits drei Titel in der Tasche. Ist das vor dem Showdown ein psychologischer Vorteil?

Wolff: Nein, es geht nur um das Hier und Jetzt, es geht um den Titel 2016. Für Lewis ist die Ausgangslage allerdings klarer. Er muss gewinnen, da gibt es nichts nachzudenken, nur volle Attacke. Das Verwalten ist komplexer.

STANDARD: Und wie komplex gestaltet sich die Aufgabe für Ihr Team?

Wolff: Die Entscheidung soll nicht durch technische Defekte oder strategische Fehler des Teams beeinflusst werden. Wir müssen beiden Piloten im Sinne der Fairness gleichwertige Möglichkeiten bieten. In Zeiten, in denen ein Rennstall dominiert, muss man sich der Verantwortung für den Sport bewusst sein. Wir werden sie racen lassen, so wie wir es immer getan haben. Zwischendurch ist das operative Management im Umgang mit den Fahrern dadurch intensiver, aber das sind wir den Fans schuldig.

STANDARD: Bei aller Liebe zum Sport zieht aber auch Mercedes einen Nutzen aus dieser Strategie.

Wolff: Natürlich, die beiden motivieren sich gegenseitig zu Höchstleistungen und machen so in letzter Konsequenz auch das Auto schneller. Lewis und Nico sind aneinander gereift, auch deshalb gewinnen wir die Konstrukteursweltmeisterschaft. Um den Erfolg zu garantieren, müssen wir vor den Fahrern als Team aber immer transparent bleiben.

STANDARD: Und trotzdem war Hamilton nach einem Defekt in Malaysia sauer, fühlte sich gegenüber Rosberg benachteiligt.

Wolff: Die Formel 1 ist ein hochemotionaler Sport. Wenn Hamilton als Führender mit einem Motorschaden ausscheidet, kann es passieren, dass ihm im ersten Moment die wildesten Theorien durch den Kopf gehen. Hält man ihm nach dem Aussteigen ein Mikrofon unter die Nase, ist die Schlagzeile perfekt. Die Medien freuen sich über die Kontroverse.

STANDARD: Wie gehen Sie als Teamchef mit solchen Situationen um?

Wolff: Im konkreten Fall haben wir zehn Minuten später gesprochen, und die Sache war aus der Welt. Ich kann mit solchen Vorkommnissen dann und wann gut leben. Wenn unsere Fahrer nicht emotional wären, wenn wir es nicht auch wären, dann hätten wir nicht die Passion für den Sport. Dann könnten wir nicht unsere Leistung bringen.

STANDARD: Sie sind auch für das Image der Marke zuständig. Befürchten Sie keinen Schaden?

Wolff: Nein, wir wollen auf keinen Fall alles zu corporate trimmen. Man muss den Fahrern Freiheiten lassen. Sollen sie nicht mehr sagen, was sie denken, nur weil vieles übertrieben dargestellt wird? Viele Piloten nehmen sich ohnehin schon zurück, dann heißt es wieder, es fehlen die Charaktere.

STANDARD: Max Verstappen wirkt noch recht unangepasst. Sie haben sich zuletzt mit seinem Vater Jos über den abenteuerlustigen Fahrstil des Youngsters unterhalten. Das kam nicht überall gut an, vor allem nicht bei seinem Team Red Bull Racing.

Wolff: Ein absolutes Nichtereignis, darüber kann man nur lachen. Wir nennen es einen Sturm im Wasserglas, die Engländer sagen "a storm in a teacup". Mein Kontakt mit Jos ist regelmäßig, seitdem Max in der Formel 3 fuhr. Aber daran erkennt man, wie groß die Rivalität zwischen den Teams ist.

STANDARD: Früher hielten Sie sich eher im Hintergrund. Nun fällt Ihr Name häufiger, wenn es Kontroversen gibt. Warum?

Wolff: Wir sind das Team, das drei Jahre den Level vorgegeben hat, dadurch ist man exponierter, man polarisiert zwangsläufig. Das macht mir keinen Spaß, aber damit muss ich zurechtkommen. Insofern war das Rennen von Mexiko, in dem es einen Konflikt zwischen Ferrari und Red Bull gab, recht erholsam.

STANDARD: Sie wurden auch vom ehemaligen Mercedes-Teamchef Ross Brawn kritisiert. In seinem Buch "Total Competition" heißt es, er hätte Ihnen nicht trauen können.

Wolff: Zuletzt meinte Brawn, er wäre nicht richtig interpretiert worden. Ich möchte festhalten: Wir sind nicht in der Formel 1, um unseren Freundeskreis zu erweitern, sondern um den besten Job zu machen. Manchmal baut man eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre auf, ein anderes Mal klappt es nicht. Die Formel 1 ist kein Kindergarten, die zwischenmenschlichen Beziehungen gestalten sich in diesem Umfeld nicht einfach.

STANDARD: Nun steht Brawn beim neuen Rechteinhaber Liberty Media vor einer Rückkehr in die Formel 1. Zuletzt brachten ihn Medien sogar als möglichen Nachfolger von Bernie Ecclestone ins Spiel. Fände ein solches Szenario Ihre Zustimmung?

Wolff: Seine Fähigkeiten liegen im technischen Bereich. Wenn man ihn in puncto Reglement einbinden würde, wäre das gut. Der kaufmännische Bereich, Sponsoren, TV-Vermarktung sind nicht seine zentrale Expertise. Niemand kann Ecclestone in diesem Geschäft das Wasser reichen.

STANDARD: Erwarten Sie sich durch Liberty Media neuen Schwung für die Formel 1?

Wolff: Wir schauen uns die Entwicklung von der Seitenlinie an. Als Team, das in der Meisterschaft eingeschrieben ist, wollen wir gehört werden. Ein Aktionärswechsel ist für uns aber sekundär. Langfristig ist ein Medienunternehmen wie Liberty Media als Kernaktionär interessanter als ein Private-Equity-Unternehmen, das in erster Linie auf kurzfristige Profitmaximierung zielt.

STANDARD: Die Formel 1 hat einige Baustellen, die Popularität ist nicht ungebrochen, die Reichweite sinkt.

Wolff: Wir bewegen uns auf sehr hohem Niveau. Beim Grand Prix von Brasilien lag die TV-Quote in Deutschland bei 6,5 Millionen Zusehern. Die Formel 1 funktioniert, wenn wir genügend Gesprächsstoff bieten.

STANDARD: Trotzdem sieht sich Mercedes in anderen Klassen um, ein Einstieg in der Formel E wird angedacht. Wie ernst ist das Interesse?

Wolff: Die Elektrifizierung auf der Straße passiert. Ein großer Teil der Straßenautos wird in fünfzehn Jahren elektrisch fahren. Wir haben in der F1 schon einen relativ großen Hybridanteil an der Gesamtleistung. Deswegen muss man sich Rennformeln, die in diese Richtung gehen, ansehen. Wir beobachten die Serie und bilden uns eine Meinung, nicht mehr und nicht weniger.

STANDARD: Noch ein Ausblick: Was darf man sich von der Formel-1-Saison 2017 erwarten?

Wolff: Für die Fahrer wird es anstrengender, das Tempo in den Kurven wird verschärft. Das werden die schnellsten Autos, die es je in der Formel 1 gab. (Philip Bauer, 25.11.2016)