Wieder mal ein Urteil des Obersten Gerichtshofes, das für Aufsehen sorgt: Laut einem neuen OGH-Erkenntnis müssen in Zukunft Gefälligkeitsartikel nicht als Werbung deklariert werden. Denn, so die obersten Richter: Leser gehen heutzutage ohnehin davon aus, dass "auch redaktionelle Beiträge in periodischen Medien nicht ,neutral' sind". Denn: Sie stammen von Journalisten, "die ihre persönliche Meinung zum Ausdruck bringen".

Was bedeutet das, konkret weitergedacht? "Der objektive, neutrale Journalismus ist tot", wie es ein User auf derStandard.at – zugegebenermaßen: pointiert – formuliert. Dass Objektivität im Journalismus ein schwieriges Kriterium ist, ist hinlänglich diskutiert: Schließlich unterliegt jeder, auch der kompetenteste Journalist, persönlichen Meinungen oder auch dem Redaktionsstatut. Dies wäre per se noch nicht wirklich problematisch und ist nicht zuletzt Thema vielfältiger und kontroverser Debatten rund um Journalismus und Objektivität.

Bedenklich wird es, wenn Berichterstattung aus ökonomischen Gründen nicht mehr objektiv sein kann. Sprich: wenn finanzielle Zuwendungen im Spiel sind – egal ob direkt oder indirekt wie zum Beispiel bei "Gefälligkeitsartikeln", die häufig als Gegenleistung zu Anzeigenvolumina gewährt werden.

Warum mich das als Vorsitzende eines Gremiums, das primär als Korrektiv für die PR-Branche da ist, stört? Die Antwort ist ganz klar: Dieses Urteil ist sicherlich nicht im Sinne guter und seriöser Public Relations!

Ans Eingemachte

Hier geht es ans Eingemachte – auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Grundfesten unserer Demokratie.

Wieso? Dieses Urteil bedeutet per OGH-Beschluss das Ende für den Anspruch, dass Journalismus wahr, wahrhaftig und unabhängig sein muss bzw. dass Journalismus ein zentrales Korrektiv in unserer demokratischen Gesellschaft darstellt – früher einmal als "vierte Macht im Staate" tituliert. Dabei wäre genau diese Rolle als Korrektiv heute wichtiger denn je – man blicke nur auf die Entwicklung in digitalen Medien, rund um Hasspostings und Vernaderung. Dabei wäre doch aktives und kritisches Korrektiv zu sein genau die Zukunftsperspektive und potenzielle Legitimation, die die herkömmlichen Medien so dringlich zum Überleben benötigen.

Urteil hinterfragen

Es gibt aber noch eine weitere Dimension: Es ist bereits die grundsätzliche Annahme, auf der dieses OGH-Urteil fußt, mehr als zu hinterfragen: So postulieren die obersten Richter, dass die Leser heute ohnehin davon ausgehen, dass redaktionelle Artikel subjektiv gefärbt sind. Leider gibt der OGH für diese Behauptung keinerlei Quellen oder Referenzen an: keine Studien, keine Zitate – nichts! Jeder Bachelor-Student braucht seine Fußnoten und Belege – nur für den OGH scheint diese Beweispflicht nicht zu gelten. Uns sind jedenfalls für Österreich keinerlei Studien bekannt, die diese Behauptung belegen.

Warum rege ich mich eigentlich auf? Schließlich bin ich die Ethik- Rat-Vorsitzende der PR-Branche und nicht die der Journalisten, und für die PR ist dieses Urteil ja geradezu ein Freibrief, dass man erstens mit den ohnehin lästigen Journalisten gar nicht mehr arbeiten muss und zweitens Gefälligkeitsartikel ohne schlechtes Gewissen vereinbaren kann.

Genau das sehen wir aber als zentrale Aufgabe der Selbstkontrollorgane. Es gibt viele Graubereiche und bedenkliche Entwicklungen, was die Verschiebung von Kommunikationsmacht betrifft, was neue Disziplinen der Kommunikation betrifft (z. B. Content Marketing, Seeding, Litigation PR). Sie alle brauchen einen Diskurs über Grenzen und Verantwortung.

Das aktuelle OGH-Urteil zeigt klar: Manche gesellschaftlichen Diskussionen sind viel zu wich-tig, um sie Gerichten zu überlassen. Unser Medienrecht ist – speziell für die Digitalkommunikation – mehr als novellierungsbedürftig, insbesondere bei der Absendertransparenz und bei der Kennzeichnung für bezahlte Inhalte.

Ethik-Kodex

Genau dafür hat der PR-Ethik-Rat kürzlich einen umfassenden Kodex zum Umgang mit digitalen Medien entworfen. Dies ist ein erster wichtiger Schritt – doch ein Kodex reicht nicht aus, wenn er nicht gelebt wird. Jetzt geht es darum, die Kräfte zu bündeln und diesen Diskurs ernsthaft und engagiert zu führen. Es geht um nichts Geringeres, als um unsere Grundprinzipien und Grundrechte. Wer ist mit dabei? (Gabriele Faber-Wiener, 25.11.2016)