Wenn das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen ist, wäre die logische Konsequenz, ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt zuzusagen.

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Institutionalisierte Exklusionen in Organisationen gibt es. Das Gesetz äußert sich dahingehend unmissverständlich, macht aber Ausnahmen. Das Prinzip der Verkündigungstätigkeit stellt das Ethos von Glaubensgemeinschaften über die weltliche Pflicht der Gleichbehandlung. In Kindergärten, Schulen, in der Beratung.

Pluralistische Werte verlangen unseren Organisationen viel ab: Gleichberechtigung, Mündigkeit, Offenheit, Toleranz und Urteilsfähigkeit. Finden sich Glaubensgemeinschaften darin wieder? Sie müssen in vielerlei Hinsicht Dissonanzen bewältigen. In der Begegnung mit anderen Glaubensgemeinschaften ebenso wie in der Positionierung in der Gesellschaft. Nach innen sind sie dem steigenden Druck der Binnendifferenzierungen ausgesetzt. Ihre Ordnungen werden hinterfragt.

Das zeigen die wiederholten Diskussionen um das Kopftuch auf. Worüber wird eigentlich gesprochen? Geht es in diesen Verhandlungen, die auf dem Rücken von Frauen ausgetragen werden, nicht darum, wer unter den gegenwärtigen Umständen welche Exklusionsprivilegien aufrechterhalten darf und weniger um die Teilhabe der Frauen? Zutage treten hier übergeordnet: die verschwommenen Grenzen der Legitimität von "religiös begründeter" Unter- bzw. Überordnung. In Wahrheit reden wir über das Spannungsfeld von Religionsfreiheit einerseits und der Absicherung gegen politische Interventionen von Religionsgemeinschaften andererseits.

Eher: Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt

Hand aufs Herz: Die Debatten um das Kopftuch finden statt, wo Frauen mit Kopftuch anfangen wollen, gebildet, eloquent und selbstbewusst am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das Kopftuch ist auch in Unternehmen selbstverständlich kein Kleidungsstück per se, sondern es ist religiöses, kulturelles und politisch-gesellschaftliches Ausdrucksmittel. Dabei ist es hochambivalent. Wirft uns auf unseren eigenen Umgang mit Ambivalenzen zurück. Am allerwenigsten geeignet scheinen Verhandlungen darüber am Arbeitsplatz. Die Gesetzgebung äußert sich dahingehend ebenso unmissverständlich. Das nützt der Apothekerin mit Kopftuch wenig. Sie wird praktisch durchgängig abgelehnt, außer wenn sie sich als nützlich im Umgang mit (immer nur vermeintlich) ihresgleichen erweist. Warum aber?

Zweifelsohne sind wir gut beraten, Religionseinflüsse zu diskutieren, und zwar grundsätzlich. Oder weiterhin bloß unsere eigenen Gleichstellungsdefizite auf eine Gruppe zu projizieren, die uns den Stand der eigenen Un-Gleichheiten bloß zugespitzt widerspiegelt.

Wenn nämlich das Kopftuch ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen ist, dann wäre die logische Konsequenz, ihnen eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt zuzusagen. Karriere und Einkommen sind wesentlicher Bestandteil einer unabhängigen Lebensgestaltung. Das passiert aber nicht. Es gibt nämlich übergeordneten Diskussionsbedarf. (Norbert Pauser, 30.11.2016)