Gefährlicher Augenblick: Georges Pierre fotografierte Anna Karina am Set von "Pierrot le fou".

Foto: Privatsammlung Georges Pierre

Robert Mitchum posiert für "The Night of the Hunter".

Foto: The John Kobal Collection

Wien – Erinnert man sich tatsächlich am besten an Filme, indem man sich bestimmte Szenen ins Gedächtnis ruft? Etwa an jenen legendären Augenblick in "North by Northwest", wenn sich Cary Grant auf der Flucht vor dem Doppeldecker in den Staub wirft?

Wahrscheinlich hat man diese Bilder öfter gesehen als den Kinderwagen, der in Sergej Eisensteins Revolutionsklassiker "Panzerkreuzer Potemkin" die Treppen von Odessa hinunterstürzt, oder Charlie Chaplins Rede in "The Great Dictator". Doch haben sich diese Bilder nicht längst vom jeweiligen Film losgelöst und führen seither ein Eigenleben im kollektiven Gedächtnis?

Und dann gibt es Bilder von Filmen, an die man sich erinnert, obwohl sie so auf der Leinwand gar nie zu sehen waren – festgehalten als Fotografien am Filmset. Als Werbebilder, Kunstbilder, Zwischenbilder, Metabilder, Schlüsselbilder oder Autorenbilder, wie die Ausstellung "Film-Stills" sie ihrer Funktion entsprechend gruppiert. Eines der bekanntesten Beispiele, das auch in der Albertina zu sehen ist, verdeutlicht auf besondere Weise den teilweise nachhaltigen Einfluss der Setfotografie auf die Filmrezeption: Nur auf dem Foto von Sam Shaw hält Marilyn Monroe ihren hochfliegenden Rock so fest, wie man es aus Billy Wilders "The Seven Year Itch" zu kennen glaubt. Und auch das berühmteste Bild von Anita Ekberg im Trevi-Brunnen wird man in Federico Fellinis "La dolce vita" vergeblich suchen.

Verdichteter Ausdruck

Denn während die Bewerbung von Filmen heute noch an der Supermarktkassa stattfindet, richtete sich ihr Augenmerk in den ersten Jahrzehnten auf die Schaukästen und die Kinofoyers, wo neben dem Plakat – das sich ebenfalls zur eigenen Kunstform entwickelte – die arrangierten Aufnahmen das Publikum ebenso anlocken sollten wie Porträtfotos der Stars.

In der von Walter Moser, Chefkurator der Albertina-Fotosammlung, zusammengestellten Ausstellung wird dies zunächst vor allem an Fotografien deutschsprachiger Produktionen aus den Zwanzigern deutlich: Man wandert Werbefotos für Arbeiten von Henrik Galeen ("Der Student von Prag") und Friedrich Wilhelm Murnau ("Faust, Nosferatu") ab, um an Fritz Lang ("Die Nibelungen, M") vorbei nach Frankreich zu Carl Theodor Dreyer ("La passion de Jeanne d'Arc") und Jean Cocteau ("Le sang d'un poète") zu gelangen. Hier wird ersichtlich, warum die Setfotografie dem Expressionismus näherstand als der Neuen Sachlichkeit: Der Versuch, die Ästhetik des Films in einem arrangierten Augenblick zu konservieren, ging stets mit dem Wunsch nach einer Verdichtung des Ausdrucks einher.

Versetzte Perspektiven

Es sind Aufnahmen von bemerkenswerter Qualität, entstanden mit schweren und umständlich zu bedienenden Plattenkameras, die aber mit langer Belichtungszeit eine brillante Schärfe ermöglichten. Einen einzelnen Filmkader zu vergrößern war aufgrund der ungenügenden Qualität des Filmmaterials zu jener Zeit schlicht unmöglich. Das konnte sich später etwa nur Stanley Kubrick mit seinem exquisiten 70-mm-Material für "2001: A Space Odyssey" leisten – ausgestellt sind die berühmten Bilder, auf denen die Stewardess die Gangway hochgeht.

Obwohl die Anzahl der Exponate mit 130 Fotografien überschaubar bleibt – und der Fokus auf das europäische Kino und wenige Hollywood-Klassiker liegt -, lassen sich repräsentative Tendenzen erkennen: Im europäischen Autorenkino der Nachkriegszeit, hier hauptsächlich vertreten durch Godard und Pasolini, veränderte sich auch die Ästhetik der Setfotos hin zu einer Flüchtigkeit, die den kleinen, mobilen Kameras geschuldet war – entstanden unmittelbar während der Dreharbeiten. Das seitlich versetzte Bild Anna Karinas aus Godards "Pierrot le Fou", aufgenommen von Georges Pierre, das sie mit einer Schere in der ausgestreckten Hand zeigt, verdeutlicht par excellence diese Haptik des Augenblicks. (Michael Pekler, 29.11.2016)