Muslimische Männer demonstrierten bereits im Oktober in Mumbai gegen die Abschaffung des Talaq.

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Neu-Delhi/Dubai – Mehr als 15 Jahre lang hatte sich Shayara Banu vor drei Worten gefürchtet: Talaq, Talaq, Talaq. Im letzten Oktober wurde ihre Angst wahr. Als die 35-Jährige zu Besuch bei ihren Eltern war, schickte ihr Mann ihr eine SMS: Mit nur 15 Buchstaben war Shayara eine geschiedene Frau. Indiens Scheidungsrecht erlaubt es Muslimen, sich mit dem dreifachen Talaq (Arabisch für Scheidung) von ihrer Frau zu trennen. Der Talaq muss nicht einmal persönlich vorgetragen werden. Für die Blitzscheidung reichen ein Anruf oder eine Textmeldung aus. Einspruchsmöglichkeiten gibt es nicht. Doch Shayara will sich das nicht gefallen lassen und hat Indiens Oberstes Gericht angerufen.

Zuspruch bekommt sie von unerwarteter Stelle: Indiens Premierminister Narendra Modi schlug sich jüngst auf ihre Seite: "Sollen wir gestatten, dass die Rechte unserer muslimischen Schwestern zerstört werden, nur weil jemand dreimal Talaq am Telefon sagt?", kritisierte Modi. Dass sich der nationalistische Regierungschef und streng gläubige Hindu plötzlich um das Wohlergehen muslimischer Frauen sorgt, hat die hitzige Diskussion der letzten Monate um eine Facette erweitert. Es geht um das Recht von Minderheiten, um Frauenrechte und die Rolle des säkularen Staates in diesem Spannungsfeld, der Mann und Frau die gleichen Rechte zuspricht.

Drohung mit dem Talaq

Shayara, die diese Diskussion angestoßen hat, sitzt in der engen Wohnung ihrer Eltern in der Stadt Kashipur in Nordindien: Die Familie ist nicht wohlhabend. Ein Gaszylinder und ein Sack Reis stehen neben Shayaras Bett. Ihr Hochzeitsalbum, voll mit Fotos von ihr als junger Braut, ist nur noch eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Nicht dass Shayaras Ehe ein Bett aus Rosen war: Ihr Mann schlug sie, verlangte mehr Mitgift, zwang seine Frau zu einem halben Dutzend Abtreibungen; Verhütung lehnte er als unislamisch ab. "Wann immer mein Mann das Gefühl hatte, ich hätte einen Fehler gemacht, hat er mir mit Talaq gedroht", erzählt Shayara indischen Reportern.

Nun hat sie alles verloren. Ihre Kinder, zwei Buben von zwölf und vierzehn Jahren, sind in Obhut ihres Mannes. Shayara darf nicht einmal mit ihnen Söhnen telefonieren. Ihr Ex-Mann sieht sich im Recht: "Ich habe ihr Talaq gegeben, wie es mir die Scharia (...) erlaubt", sagt er. Der örtliche Geistliche, Autaur Rehman, stützt diese Ansicht. Ein staatliches Gericht habe sich nicht in religiöse Angelegenheiten einzumischen, so der 65-Jährige. "Kein Mann gibt Talaq ohne einen Grund."

Scharia in Indien

In vielen Teilen der islamischen Welt ist der dreifache Talaq nicht mehr gebräuchlich. Doch Indiens Familienrecht stammt noch aus Kolonialzeiten. Die britischen Herrscher erlaubten den verschiedenen religiösen Gruppen in Indien, ihre persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln, dazu zählten auch Heirat und Scheidung.

Somit bestimmt die Scharia bis heute das Familienrecht der etwa 180 Millionen indischen Muslime. Die indisch-islamische Organisation, Bharatiya Muslim Mahila Andolan, schätzt, dass eine von elf muslimischen Frauen mit dem dreifachen Talaq geschieden wurde – die meisten von ihnen ohne Kompensation.

Wandel von innen gewünscht

Doch muslimische Geistliche sehen den Angriff auf den dreifachen Talaq als eine Bedrohung für die religiöse Gemeinschaft. Die meisten befürworten eine freiwillige Lösung, einen Wandel von innen. "Solche Männer sollten bestraft werden (...) keiner sollte ihnen wieder erlauben, seine Tochter zu heiraten", sagt Maulana Abdul Hameed Naumani, Geistlicher der Jamiat Ulema Hind, einer der führenden muslimischen Organisationen in Indien.

Was wird, wenn die Obersten Richter Shayaras Scheidung für nichtig erklären? Shayara ist unsicher. Ihre Familie möchte, dass sie dann eine Scheidung vor einem Gericht einreicht. Doch Shayara schwankt noch: "Vielleicht gehe ich zurück zu ihm, für das Wohl meiner Kinder." Auch wenn Indiens Regierung den Weg für ein neues, einheitliches Familienrecht ebnet, bleibt eine Scheidung für die meisten indischen Frauen ein soziales Stigma, egal welcher Religion sie angehören. (Agnes Tandler, 29.11.2016)