Fraktus II , die härteste Nuss, seit es Krautrock gibt.

Foto: Klangbad

Fraktus II "Optische Täuschung" (Klangbad / Broken Silence)

Ab 9. 12. im Handel

Foto: Klangbad

Sie arbeiten seriös. Wirklich. Sie arbeiten ganz seriös an der Zerstörung der Welt." Jochen Irmler ist Mitbegründer der deutschen Krautrock-Urgesteine Faust. Im beschaulichen süddeutschen Provinzkaff Scheer betreibt er außerdem nicht nur das legendäre Klangbad-Studio, sondern veranstaltet jährlich auch das längst zur Institution gewordene Klangbad -Festival, ein "Underground-Open-Air-Ereignis für atonale Musik".

Nachdem 2012 das aus den Hamburger Humorkanonen Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jaques Palminger bestehende Telefonterror- und Extremhörspieltrio Studio Braun den Film Fraktus abgedreht hatte, eine Mockumentary über die legendären wie imaginären deutschen Technoerfinder Fraktus, die damit nicht nur zum Vorbild für Leute wie Kraftwerk, die Einstürzenden Neubauten oder DJ Ötzi wurden, war der nächste Schritt nur folgerichtig.

Typberater

Fraktus-Mitglied Bernd Wand alias Jaques Palminger hatte ja schon in den frühen 1980er -Jahren nach dem jähen Ende von Fraktus I wieder zurück in seine bürgerliche Existenz gefunden und arbeitete irgendwo in der Provinz im Optikerbetrieb seiner Eltern als Typberater für Alubrillen. Nebenher gründete der Mann mit dem dramatischen Seitenscheitel damals auch mit den Erzeugern Fraktus II, eine Band, mit der er die künstlerischen Errungenschaften von Fraktus I souverän fortführte.

Gemeinsam mit Jochen Irmler als Supervisor und aktivem Kreateur apokalyptischer Orgelkadenzen auf dem Track Farben und Verläufe sowie als Einspringer für den krank gewordenen und tragischerweise in der Folge verstorbenen Papa-Wand-Gastmusiker Carsten Meyer, seit Jahrzehnten besser bekannt als berüchtigter Hamburger Alleinunterhalter Erobique aus dem Umfeld des Pudel Club in St. Pauli, erfüllte sich Bernd Wand nun mit der Einspielung des gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten erscheinenden Albums "Optische Täuschung" einen Lebenstraum. Während einer heißen Sommerwoche entstanden hier dieses Jahr in ländlicher Abgeschiedenheit im Klangbad-Studio "mitten zwischen Schrottplatz und Naturschutzgebiet direkt an der Donau" künftige Klassiker der Neuen Deutschen Welle, 30 Jahre nach deren ursprünglicher Hochzeit.

Hase im Pfeffer

Das Album startet und bleibt auch minimalistisch. Der Eröffnungstrack Glossomanie gibt die Richtung beinhart und staubtrocken vor. Karge elektronische Beats, schroffe, beinahe skizzenhafte Klänge aus diversen elektronisch verstärkten Synthesizern und anderen modernen Klangerzeugungsgeräten. Früher nannte man diesen Stil "kalt" und "unpersönlich". The Human League, Depeche Mode. Kalte Welt, kalt wie Eis. Kalt, kalt, kalt. Menschliche Wärme kommt nur von Mama Wand als Hauptsängerin. Sie redet ihrem live aktuell in Eierkartons als Schildkröte verkleidet performenden Sohn einmal mehr ins Gewissen: "Du redest in Zungen, ich versteh dich nicht. Was meinst du damit? Deine Lallmonologe machen mich krank. Du redest, du lallst, du sitzt in der Küche und lallst. Komm raus aus der Küche … "

Damit ist die Richtung auch für die weiteren Tracks wie Die Rache der Schildkröten, Gute Besserung, Medikation oder Rosa Elefanten vorgegeben. Wer sich noch an alte Bands wie Der Plan mit dem Gummitwist (aber ohne Melodien) oder die Deutsch-Amerikanische Freundschaft mit Die Kleinen und die Bösen (aber ohne die musikalischen Einfälle) in deren kreativ wichtigsten Phasen erinnert, weiß, woher der Hase gekommen ist: aus dem Pfeffer, den Fraktus I dereinst – lang, lang ist’s her – als erste mit der Mühle des Alltags gerieben haben. (Christian Schachinger, 2.12.2016)