Wien – Da hat das Wiener Publikum ja noch einmal Glück gehabt: Ihre Konzerte in Köln, Bremen, Brüssel und London musste Cecilia Bartoli krankheitsbedingt verschieben oder absagen, für ihren Auftritt im Musikverein genas der Koloraturstar gerade noch rechtzeitig. Mit im Gepäck hatte die Bartoli ein neues Programm sowie ein neues Ensemble, Les Musiciens du Prince aus Monaco.

Der erst vor kurzem auf Initiative Bartolis in Zusammenarbeit mit der Oper von Monte Carlo gegründete Klangkörper wurde von der Geigerin Ada Pesch in etwas farbloser Weise vom Konzertmeisterpult aus geleitet: Die feingliedrige, agile, jedoch auch unverbindlich gefällige Musizierweise des Kammerorchesters ließ die prägende Hand eines Dirigenten, ließ Rauheit, Wucht, Schärfe und prägnante Kontraste missen. Und in ihren Unisexuniformen erinnerten die Musiker der fürstlichen Barockband optisch an die Beschäftigten eines Bestattungsinstituts.

Aber da war ja noch die Bartoli. In einem Meer aus blauem Tüll (samt silbrigem Springbrunnen aus Strasssteinen inmitten) flutete die Italienerin die Bühne des Musikvereins und durchlebte – ob als Piacere aus dem frühen Il Trionfo del Tempo e del Disinganno, ob als Acis oder als Semele – die extremen emotionalen Wechselfälle der "Händel Heroines", so der Name ihres neuen Programms. Die Schmerzensfrau, die furchtlose Kämpferin gegen Furien, die Verliebte, der Quell guter Laune: Die Römerin durchsang alle Rollentypen, und immer blieb ihr bewegungsfreudiger Mezzo rund, weich und glänzend.

Als erfahrener Bühnenprofi unterhielt Bartoli auch mit kleinen szenischen Gags, demonstrierte mit Spiegel und Smartphone die Eitelkeit Semeles oder ließ von seitwärts Vogelgezwitscher erklingen. Dann flötete die 50-Jährige mit dem Soloflötisten Jean-Marc Goujon um die Wette, oder sie matchte sich mit dem Trompeter Thibaud Robinne. Im Laufe der dritten Zugabe, einer Arie von Agostino Steffani, überwand deren instrumental-vokaler Wettstreit alle Zeit- und Stilgrenzen, und plötzlich fand man sich kurz auf dem Planeten Jazz wieder, bei Gershwins Summertime.

Der überraschendste Ausflug einer hochprofessionellen Unternehmung mit erwartbarem Ende: stehender Beifall für die singende Sympathieträgerin. (Stefan Ender, 30.11.2016)