Hier zu sehen: Eine hochauflösende Anatomieaufnahme des Gehirns, verschmolzen mit Traktographie-Informationen (links), die hochpräzise die Faserbündel darstellen.

Foto: Max Planck Institut, Leipzig

Sieht aus wie ein Tier aus der Tiefsee, ist aber eine dreidimensional dargestellte Bauchaorta mit einem Stent, die mit der Technik des Cinematic Volume Renderings von Siemens Healthineers visualisiert wurde.

Foto: Medical University of South Carolina/Charleston

Chicago – Fast jede Branche hat ihren jährlichen Höhepunkt. Für die Radiologie ist es der RSNA in Chicago, traditionellerweise immer drei Tage nach dem Thanksgiving-Fest. Die Metropole am Michigansee ist grau. Der Wind bläst und es nieselt. Doch alle Hotels sind komplett ausgebucht. "Beyond Radiology" ist das diesjährige Motto der Veranstaltung, die alljährlich von Radiological Society of North America (RSNA) ausgerichtet wird und tausenden Medizinern und Spitalsbetreibern aus aller Welt vorführt, was im Gebiet der Durchleuchtung heute alles möglich ist.

Die Leistungsschau findet in zwei riesigen Hallen des MacCormick Place Convention Centers statt. In zwei riesigen Hallen schlendern zu 90 Prozent Männer in gut geschnittenen Anzügen, die fast an jedem Stand mit der freundlichen Frage "Can I explain you our product?" eingefangen werden wollen. Was es zu erklären gibt sind Maschinen: Vom Ultraschall über Computertomografen (CT) bis zur Magnetresonanztomographie (MR) oder dem Positronenemissionstomografen PET – oder Kombinationen aus diesen Technologien.

An der Größe der Messestände lässt sich erkennen, wer in der Radiologie die Platzhirschen sind: Philips, General Electric (GE), Toshiba, Hitachi und Siemens teilen sich den Markt um jene Maschinen, die den Menschen durchsichtig machen. Neu ist der Auftritt der deutschen Marktführer, die ihre Medizintechniksparte ausgelagert haben und sich hier in Chicago erstmals als Siemens Healthineers präsentieren. Bei den "Ingenieuren der Gesundheit" stehen Trauben von Menschen. "Die Radiologie wird sich stärker in Richtung interdisziplinärer Teamarbeit öffnen, wir arbeiten an ganzheitlichen Lösungen, um das zu unterstützen", sagt Walter Märzendorfer, der die diagnostische Bildgebung bei Siemens Healthineers leitet. Statische Bildgebung sei längst nicht mehr das Thema, vielmehr geht es darum auch den Stoffwechsel in Organen sichtbar zu machen, oder dynamische Prozesse im Körper wie zum Beispiel den Blutfluss im Herzen als Film darstellen zu können. Darauf ist man stolz, "das können andere nicht auf diesem Niveau."

Durchsichtiger Mensch

Zudem ist die Bildgebung heute zunehmend auch ein Werkzeug, um Operationen quasi am dursichtig gemachten Menschen durchzuführen – etwa um Stents ins Herz zu setzen oder Blutgerinnsel bei einem Schlaganfall zu entfernen: Operiert wird, indem man mit Kathetern über die Blutgefäße zum Ort des Problems gelangt und es vor Ort löst. Was früher riesiger Operationen bedurfte, wird heute in minimal-invasive Eingriffen gelöst – und Patienten können nach wenigen Tagen wieder nach Hause.

All das sind Errungenschaften, doch es gibt viele neue Herausforderungen: "Vor 20 Jahren setzte sich ein MR-Bild aus 20 Schnitten zusammen, heute sind es zwischen 200 und 500", sagt Christian Herold, Leiter der Radiologie an der Meduni Wien. Er ist ebenfalls hier in Chicago und hat einen ganzen Vormittag über die Bewältigung der enormen Datenmengen gesprochen, mit denen die Radiologen durch die hochauflösenden Bilder konfrontiert sind. Bei der Auswertung der Bilder übernimmt der Computer zunehmend eine Schlüsselrolle. Algorithmus ist das Zauberwort für automatisierte Diagnosen und sämtliche große Anbieter liefern längst nicht mehr nur die Hardware, sondern eben auch diagnostische Software zu ihren Geräten. Werden diese Algorithmen eines Tages die Ärzte ersetzen? "Nein, denn Algorithmen suchen nur das, was sie zu suchen programmiert sind," erklärt Herold. Doch wenn es darum geht Neues zu entdecken, sind unentdeckte Zusammenhänge ein Schlüssel für neue Erkenntnisse, ist er überzeugt.

Organe in 3D

Die Hoheit der Bilddeutung bleibt also zumindest einstweilen in der Hand der Radiologen, allerdings werde sich das Fachgebiet durch eine entsprechend anschauliche Darstellung auch den anderen medizinischen Fachbereichen öffnen müssen, ist Healthineer Walter Märzendorfer sicher. "Wir sitzen täglich in Tumorboards mit Ärzten anderer Fachrichtungen zusammen, Computer können uns dabei unterstützen, Entscheidungen gemeinsam zu treffen", sagt Herold und meint unter anderem "Cinematic rendering", eine Technologie von Siemens Healthineers bei der die Errungenschaften aus der Trickfilmindustrie in die Medizin eingeführt wird.

Damit werden Organe nicht wie bisher als Schnittbilder (Zur Erklärung: Ein Mensch wird mit CT und MR quasi in Scheiben geschnitten) sondern in 3D dargestellt – so können sich auch Nicht-Experten ein genaues Bild von einer Krankheit machen. "Ärzte könnten diese Technologie auch für die Kommunikation mit ihren Patienten nutzen", ist Märzendorfer überzeugt. Wie das konkret aussehen könnte: Ein Arzt zeigt einem Patienten dessen kranke Leber als Computermodell auf einem Bildschirm – und erklären ihm, wie der der Tumor dort durch die Methoden der Interventionellen Radiologie verödet werden kann.

Die Zukunft beginnt eben erst

Was auf der RSNA gefeiert wird, ist Hightech in Reinkultur. Allerdings sind sich alle Teilnehmer dort auch des enormen Kostendrucks bewusst und veranstalten eigene Seminare zum Thema. Die Branche muss den Verantwortlichen im Gesundheitssystem zunehmend beweisen, dass die Leistungen der Radiologie auch kosteneffizient sind. Auch dafür werden hier in Chicago gerade neue Modelle entwickelt.

Am Stand von Hitachi referiert der US-Starradiologe Stephen Pomeranz aber noch über ein ganz anderes Problem. Je hochauflösender die Bilder des menschlichen Innenlebens werden, umso detailgenauer werden sie. "Doch nicht alles, was wir plötzlich sehen, ist auch wichtig, vieles davon hat überhaupt keine Relevanz, wenn es um Diagnosen geht", warnt er. Deshalb mahnt er Radiologen, niemals ihr Suchziel aus den Augen zu verlieren. Dass diese Gefahr groß ist, zeigen die nickenden Radiologenköpfe im Publikum. Die Zukunft habe eben gerade erst begonnen, ist Pomeranz überzeugt. (Karin Pollack, 3.12.2016)