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Roberto Melanese ist in Havannas ehemaliger Bacardi-Fabrik als Rum-Sommelier tätig.

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Die Trauer um Castro ist echt.

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Die Parolen von gestern

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Coca Cola und Co sind längst auf der Insel angekommen.

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Den konservativen Exil-Kubanern werden zwar keine Chancen gegeben, politisch das Ruder zu übernehmen, aber ihre Finanzkraft ist willkommen

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Havannas Strandpromenade vier Tage nach dem Tod von Fidel Castro: Während die legendären Oldtimer auf dem Malecón langsam weniger werden, tauchen auf der Floridastraße immer öfter Kreuzfahrtschiffe auf.

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Ein USB-Stick. Ein ganz normaler USB-Stick wird in Havanna dieser Tage wie ein kleiner Goldbarren gehandelt. Weil es ihn schlicht nicht zu kaufen gibt. Nur Bekannte aus Florida, hie und da ein Passagier von einem Kreuzfahrt-Schiff oder wiederkehrende Reisende, die die Lage kennen, bringen welche mit. Denn auch die Kubaner wollen ihre Erinnerungen immer öfter digital abspeichern oder verwalten – etwa jene an den am 25. November verstorbenen Máximo Líder. Nur in den seltensten Fällen geben sie Fidel oder Raùl Castro die Schuld, dass es diese Sticks und tausend andere Sachen nicht gibt. In diesen Tagen schon gar nicht. Die Staatstrauer wirkt nicht aufoktroyiert. Die Trauer um den Tod von Fidel Castro ist echt. Trotzdem sind die Menschen müde. Einfach nur müde wie Roberto Melanese.

Der 65-jährige Rum-Sommelier liegt hinter der Schank darnieder, den Kopf auf den Arm gestützt. Denn der Mann in der 1838 von der Bacardi-Familie gegründeten Fabrik in Havanna ist benebelt durch täglich zwei bis drei Liter Flüssiges: Auf Kuba wird Rum selbst beim Verkosten nicht ausgespuckt – kostbarer schon gar nicht.

Proklamierte Freiheiten

Roberto Melaneses Heimat liegt ebenso darnieder. Weil die Bacardis, DuPonts und andere Industrielle samt Kapital und Know-how die Zuckerrohrinsel verließen, nachdem der Rechtsanwalt Fidel Castro Ruiz am 16. Februar 1959 offiziell das Amt des Regierungschefs übernommen hatte. Auch weil John F. Kennedy keinen sozialistischen Staat in seinem Vorhof dulden wollte und 1962 die Wirtschaftsblockade verhängte.

Vor allem aber, weil knapp 30 Jahre später 10.000 Kilometer weiter östlich die kommunistische Lebensader versiegte und Sowjetunion-Nachfolger Russland die Geldleitungen kappte. Und schließlich, weil auch der 26. Juli 1993 keine entscheidende Besserung brachte. Castro proklamierte in einer seiner stundenlangen Reden die Dollar-, Handels- und Marktfreiheit. Geändert haben sich nur Kleinigkeiten im Alltag: ein privates Café hier, ein Friseur dort.

Durchhalteparolen waren gestern

Jetzt, nach Fidels Tod, könnte sich etwas tun: Die Florida-Kubaner wollen aus der alten ihre neue Heimat machen. Schließlich gehörten die Grundstücke der heutigen Hotelanlagen zu 80 Prozent ihnen, es sind die sogenannten 1A-Lagen. Auch die daheimgebliebenen Kubaner sind auf dem Sprung: zu BMW und Benz, zu Samsung und Sony. So heißen die neuen verführerischen Leitbilder, die noch schwer und nur sündhaft teuer zu haben sind.

Die Hoffnung von morgen basiert jedenfalls nicht mehr auf Durchhalteparolen von gestern. Hinter vorgehaltener Hand sagen viele, dass die USA Fidel Castro erst zum Mythos gemacht haben. Ohne das Embargo gäbe es seit dem Zusammenbruch des Ostblocks keine Revolutionsregierung mehr, weil Coca-Cola und Co die letzte Bastion des Kommunismus in der Karibik längst genommen hätten.

Die trutzige, 700 Meter breite Fortaleza an der Hafeneinfahrt Havannas steht scheinbar uneinnehmbar wie eh und je seit dem 18. Jahrhundert, das System aber, das an der Plaza de la Revolution im Regierungspalast vis-à-vis im Zentrum von Havanna aufrecht erhalten wird, bröckelt. Ist brüchig und morbide wie der einstige Prachtboulevard von Havanna: Auf dem Malecón scheinen noch dieselben Häuser eingerüstet wie vor fünf, zehn, 20 Jahren. Getan hat sich am Malecón nichts – außer, dass man in diesen Tagen sogar einmal einen Autostau beobachten kann, was Jahrzehnte lang schier undenkbar schien. Wer Freunde oder Verwandte in Florida hat, kann sich ein Auto leisten, denn seit 1993 sind Zahlungen von den Exil-Kubanern an die Leute auf der Insel erlaubt, ja sogar erwünscht.

Die Misere auf dem Malecón

Fragt man die trauernden Menschen auf dem Malecón nach den Schuldigen für die kubanische Misere, bekommt man fast ausschließlich zur Antwort: "natürlich die Amerikaner". Aber genau sie werden wohl das Zepter in die Hand nehmen, wenn es um die Ära nach Raùl Castro geht – mit Hilfe genau dieser Leute auf der Straße. Denn heute weiß jeder: Fällt die Wirtschaftsblockade, füllen sich die Regale und die Menschen wählen nach Jahren der Entbehrung den Konsum. Uncle Sam ante portas bedeutet vor allem Uncle Mc vor der Tür. Dabei gibt es sogar schon eine Filiale auf der nur vermeintlich McDonald’s-freien Insel: nicht in Havanna, sondern in Guantánamo, dem US-Stützpunkt im Südosten Kubas.

"Meine Herren Imperialisten, wir haben absolut keine Angst vor euch!", ruft ein Militär in olivgrüner Uniform zum reichlich verärgerten Uncle Sam übers Meer auf dem vielleicht berühmtesten Propagandaschild Kubas. Die 15 Meter breite Tafel, stadtauswärts nach dem Hotel Nacional de Cuba auf dem Malecón aufgestellt, wirkt angesichts der jüngsten Entwicklungen schon beinahe wie eine Parodie. Denn vor Cola, Burgern und texanischen Touristen hat auf Kuba nun wirklich niemand Angst.

Sozial korrekt

1,8 Millionen Urlauber besuchen derzeit jährlich Kuba. Die allermeisten von ihnen werden schon jetzt bestens versorgt: mit komfortablen Hotels, Traumstränden davor und drinnen üppigen Büffets. Die Hotels stehen durchwegs unter der Leitung ausländischer Direktoren, die sich zwar einmal im Monat mit dem Ortskader der Kommunistischen Partei treffen, sich aber ins Management nicht hineinreden lassen. Und die neu gebauten Hotels sind bereits für den amerikanischen Markt konzipiert: mit Golfplatz und Marina, Klimaanlage und behindertengerechten Zimmern – also alles nicht nur komfortabel, sondern auch social correct. Schon vor zwei Jahren besuchte der amerikanische Reisebüro-Verband mit 160 Vertretern das Land.

Roberto Melanese ist von seinem Platz hinter der Schank aufgestanden. Er wankt ein bisschen, verkostet nun einen sieben Jahre alten Rum. Er schlürft, spült den Alkohol in seinem Mund, schluckt bedächtig und sagt dann unvermittelt: "Meine Tochter ist schon im Tourismus." Alina unterstützt ihn und die Familie, wie auf Kuba jeder Kofferträger den Arzt und jedes Zimmermädchen den Lehrer in der Familie unterstützt. Die Prämisse lautet: Einer in der Familie muss in die Touristik. Aber Roberto träumt schon weiter und er reiht sich ein in die Schar derjenigen, die schon wissen, wie das Geschäft laufen wird, wenn Raùl abdankt und die Amis einfliegen.

Den konservativen Exil-Kubanern werden zwar keine Chancen gegeben, politisch das Ruder zu übernehmen, aber ihre Finanzkraft ist willkommen. Sie sind schon jetzt mit ihren Geldüberweisungen an Familienangehörige eine wichtige Säule im Land. Und ihr Kapital wird bald wohl noch reichlicher fließen. Denn Raùl wird einlenken. Raùl ist kein großer Redner, kein Überzeuger, keiner, der Charisma hat, Raùl ist kein Mythos, sondern nur der Bruder von einem Mythos.

Die letzten Legenden

Die ersten amerikanischen Kuba-Touristen staunen gerade über die letzten verbliebenen Legenden. Etwa einen 55er-Cadillac oder 58er-Pontiac, unter deren Motorhaube sich jede Menge Moskwitsch-Teile verbergen, über die Lieblingsbars von Hemingway, vor denen wohl noch eine Zeit lang die riesigen Konterfeis von Castro und Che hängen werden, oder eben über die alte, dunkle Produktionsstätte von Bacardi.

Bald schon werden die Kreuzfahrtschiffe Passagiere bringen, die nur noch über die schönen Strände, die viele Baustellen, die uniformen Souvenirshops, dreiste Taxifahrer und hohe Preise staunen. Denn dann kostet Service auch seinen Preis. Dann hat sich Kuba touristisch in die Karibik integriert. Und Fidel dreht sich dann vielleicht schon im Grab um, wenn Roberto Melanese hinter seiner Schank steht und billigen Rum teuer an Touristen verkauft. (Jochen Müssig, 4.12.2016)