Portimao/Estoril – Ja, die mahnenden Worte der netten Dame bei der Schlüsselübergabe hatten wir noch im Ohr. Ganz leise halt. "Bitte nicht im Ortsgebiet!" – oder so. Doch gebettet auf feinstes Nappaleder und vom Klang des doppelt aufgeladenen Achtzylinders betört ist man dann mitten im nächsten Ortsgebiet John F. Kennedy plötzlich ganz nahe: "Wann, wenn nicht jetzt? Wo, wenn nicht hier? Wer, wenn nicht wir?"

Der Verwandlungskünstler: Von der luxuriösen Familienkutsche zum höllisch scharfen Tempo-Bolzer sind es im neuen AMG nur wenige Sekunden. Vor dem knackigen Race-Programm sollte man die Kinder aber besser bei Oma abliefern.
Foto: Daimler

Zwei kurze Handgriffe – und raus aus der Komfortzone. Sport-Plus-Fahrprogramm und dann voller Vorfreude auf den kleinen Schalter mit dem roten Licht. Quasi der direkte Draht zur vierflutigen Abgasanlage. Mund zu, Klappen auf. Und zur Belohnung ein Klanggewitter, das die portugiesischen Straßen erzittern lässt. Schöner kann ein Sportwagen mit Straßenzulassung kaum klingen – auch im Ortsgebiet.

Eine Frage der Einstellung

Es ist das, was Mercedes-AMG-Motorenchef Christian Enderle gerne die "AMG-DNA" nennt. Ein Auto, vier Persönlichkeiten. Und der Weg von der komfortablen Limousine zum röhrenden Porsche-Jäger ist dank der Fahrprogramme "Comfort", "Sport", "Sport +" und "Race" ein kurzer. Mit den jüngsten Kreationen AMG E 63 4matic+ (571 PS) und der Top-Version E 63 S 4matic+(612 PS) aus der hauseigenen Sportschmiede zeigt Mercedes eindrucksvoll, wie hoch die Sterne plötzlich für den kommenden BMW M5 und den nächsten Audi RS6 hängen.

Foto: Daimler

Weg vom Heck

Mit den neuen Topmodellen hat AMG die stärkste E-Klasse aller Zeiten auf mächtig breite Reifen gestellt. Doch nicht nur unter der Haube – der E 43 musste noch mit müden 401 PS sein Dasein fristen – hat sich viel getan.

Foto: Daimler

Die neu gestaltete Frontpartie lässt Böses erahnen, die Form der Motorhaube, die bulligen Radkästen und die deutlich größeren Lufteinlässe runden das beeindruckende Gesamtbild ab. Zahm wirkt dagegen mit der dezenten Spoilerleiste das Hinterteil des Boliden aus Affalterbach. Wobei die vier Fluter der Auspuffanlage ... eh' schon wissen! Doch streng genommen ist am Heck, neben der deutlichen Leistungssteigerung im Motorraum, eine der größten auch namensgebenden Veränderungen passiert: Gab es bislang den Allrad optional, hat man jetzt serienmäßig alle vier Räder zu Antriebszwecken eingespannt.

Zylinderabschaltung

Unter der Motorhaube sorgt der V8-Biturbo für schnell wechselnde Landschaftseindrücke. Von 0 auf Tempo 100 in 3,4 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h (optional mit dem Drivers's Package bei 300 km/h). Da lässt man nichts anbrennen. Anzuzweifeln ist angesichts solcher Vitalwerte und einem Gewicht von zwei Tonnen aber der Verbrauch von 9,1 Liter pro 100 km. Hilfreich, diesen Wert annähernd zu erreichen, ist die serienmäßige Zylinderabschaltung: Im Teillastbereich werden so vier der acht Zylinder automatisch deaktiviert.

Foto: Daimler

Mit der neuen Sternen-Flotte sollte man aber ohnehin den Ruhebereich schnell verlassen. Und da gilt es eines zu sagen: Ob auf engen Bergstraße oder auf der Rennstrecke: Die Frisur hält nicht – der neue AMG dafür in jeder Kurve. Und noch in eigener Sache: Also ich hab' den V8-Soundknopf nicht gedrückt. Ehrlich. (Markus Rohrhofer, 5.12.2016)

Foto: Daimler

Nachlese:

AMG, M, SVR und quattro: Schnelle Kürzel

Mercedes AMG CT 63: Der Lieferwagen des Teufels

Auto-Gipfel Friaul: Brachialer Charismatiker Mercedes AMG GT S