Rollenverteilung wie im Märchen: Der Krampus ist böse, der Nikolaus gut.

Foto: APA/Reuters/DOMINIC EBENBICHLER

"Sie dürfen aber keinesfalls als pädagogisches Mittel eingesetzt werden", betont Psychologin Ursula Wisiak.

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STANDARD: Am 5. Dezember ist Krampustag. Traditionell finden vor allem im Westen Österreichs zahlreiche Perchtenläufe statt. Sind solche Veranstaltungen auch für Kinder geeignet?

Ursula Wisiak: Krampus- und Perchtenläufe sind ein sehr ursprüngliches Brauchtum. In der Tradition war darin immer auch das Gute enthalten, repräsentiert durch den Nikolaus, der über das Böse siegte. Es gab diese eindeutigen Kategorien, ähnlich wie im Märchen. Mittlerweile kommt es aber zu Ausartungen in der Darstellung des Bösen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Wisiak: Bei den modernen Krampusläufen geht es den Darstellern zum Teil um das Ausleben von Aggressionen. Ich würde mir sehr genau überlegen, ob ich mit meinem Kind so ein Spektakel besuchen würde. Wenn ja, dann muss ich als Elternteil dafür sorgen, dass es geschützt und geborgen ist.

STANDARD: Sollten Kinder auf das, was sie erwartet, vorbereitet werden?

Wisiak: Ja, ich würde mit dem Kind vorher darüber sprechen. Etwa, dass es sich um ein Brauchtum handelt, bei dem sich Menschen verkleiden. Ich würde mich auch nicht in die erste Reihe stellen.

STANDARD: Ab welchem Alter ist ein Besuch von Perchten- oder Krampusläufen möglich?

Wisiak: Frühestens ab dem schulfähigen Alter. Vorher kann das Kind nicht verstehen, dass es sich dabei nur um verkleidete Menschen handelt. Es gibt Kinder, die von diesen Darstellungen begeistert sind. Wenn das Kind sensibel ist, rate ich von einem Besuch generell ab.

STANDARD: Der Nikolaus wird zwar als positives Pendant inszeniert, als Kind hatte ich aber trotzdem Angst vor ihm. Schließlich war er die allwissende Instanz, die Buch über mein Verhalten führte.

Wisiak: Ich würde einem Sechsjährigen sagen: "Es ist Teil des Brauchs, dass der Nikolaus am 6. Dezember zu Besuch kommt." Man könnte auch den Darsteller bitten, sich vor den Kindern zu verkleiden. Eltern sollten sich zudem genau überlegen, was auf dem Zettel steht, den sie dem Nikolaus geben. Wichtig ist, den Nikolaus als eindeutig positive Figur erscheinen zu lassen. Wenn Eltern das Gefühl haben, dass sich das Kind fürchtet, haben sie auch die pädagogische Verantwortung, dass der Nikolaus nicht zu Besuch kommt.

STANDARD: Wie ist das im Voraus möglich? Der Nikolaus kann doch nicht probehalber schon im September vorbeischauen, damit ich weiß, ob mein Kind Angst vor ihm hat?

Wisiak: Wenn Eltern ihre Kinder auf die vorweihnachtlichen Rituale vorbereiten, dann kommt die Figur des Nikolaus automatisch vor – etwa in Liedern oder in Geschichten, die vorgelesen werden. Da kann ich bereits sehen, wie das Kind auf diese Figur reagiert.

STANDARD: Wäre es nicht einfacher, Krampus und Nikolaus abzuschaffen?

Wisiak: Die emotionale Präsenz von Eltern und anderen Bezugspersonen kann mit solchen Festen gefestigt werden. Wer sein Kind völlig rational erzieht, nimmt ihm außerdem ein Stück von seinem magisch-mystischen Denken, das für seine Entwicklung ganz wichtig ist. Dadurch geht auch emotionales Erleben verloren. Wir wissen auch, dass im kindlichen Bildungsprozess Traditionen eine wichtige Rolle spielen. Brauchtum als Kulturgut kann das Familiensystem und Selbstbewusstsein stärken, fördert die Zusammengehörigkeit und gibt dem Kind ein Stück Vertrauen. Es hängt aber davon ab, wie wir mit diesem Brauchtum umgehen.

STANDARD: Meinen Sie damit, dass Krampus und Nikolaus keine Erziehungsgehilfen sein sollten?

Wisiak: Genau. Sie dürfen keinesfalls als pädagogisches Mittel eingesetzt werden. Das kann die Psyche des Kindes brechen. (Günther Brandstetter, 5.12.2016)