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Die medizinisch-technischen Assistentinnen Gökce Simali (links) und Betül Caliscan tragen bei ihrer Arbeit auf der Radiologie eines Lübecker Krankenhaus ein Kopftuch. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich ist es für Frauen mit Kopftuch nicht einfach, einen Job zu finden.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Frauen mit Kopftuch haben es auf dem Arbeitsmarkt schwerer – so weit ist alles bekannt. Das Ausmaß der Diskriminierung hat aber selbst Studienautorin Doris Weichselbaumer überrascht: "Es hat bereits mehrere solcher Untersuchungen gegeben. Aber dieser Wert ist meines Wissens einer der höchsten in der internationalen Diskriminierungsliteratur."

Für den großangelegten Feldversuch im Auftrag des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit wurden 1.500 fiktive Bewerbungen – einmal unter dem Namen Bauer und einmal unter Namen Öztürk, aber mit identischen Qualifikationen – an Unternehmen in Deutschland verschickt und dann die Rückmeldungen der Personalabteilungen analysiert. Sandra Bauer wurde bei diesem Versuch in 18,8 Prozent der Fälle eingeladen, bei Meryem Öztürk, abgebildet ohne Kopftuch, kam es nur in 13,5 Prozent zum Bewerbungsgespräch.

Krasser fiel der Unterschied aus, wenn Öztürk mit Kopftuch abgebildet war: In nur 4,2 Prozent der Fälle gab es eine positive Antwort. "Das ist ein außergewöhnlicher Wert", sagt Weichselbaumer. In Österreich wäre das Ergebnis wahrscheinlich ähnlich ausgefallen, vermutet sie.

Beratung und Ausweinen

Der neue Club "2050 Thinkers" lud diese Woche zur Diskussion über das Kopftuch in der Arbeitswelt, und wie zu erwarten, kam es auch zu einer intensiven Debatte. Fest steht: Frauen dürfen in Österreich Kopftuch tragen – auch am Arbeitsplatz. "Offensichtlich gibt es aber Assoziationen mit dem Kleidungsstück, die den Jobeintritt erschweren", sagt Petra Draxl, Chefin des Arbeitsmarktservice Wien. Dort würde man Mädchen und Frauen, die das Kopftuch tragen wollen, zunächst darauf aufmerksam machen, dass diese Entscheidung zu Problemen führen kann. "Wir stehen mit Beratung zur Seite, aber die Frauen müssen sich der Diskriminierung bewusst sein", sagt Draxl.

Dass das muslimischen Frauen schon lange bewusst sei, antwortet Dudu Küçükgöl. Schließlich beginne die Diskriminierung schon viel früher – in der Schule, auf der Straße. Die ehemalige Vorständin der Muslimischen Jugend Österreich habe es selbst oft genug erlebt. "Das tut einfach weh, da hilft zunächst nur, sich bei einer Freundin auszuweinen." Sie kenne einige Frauen, die das Kopftuch ablegten, um endlich einen Job zu finden. Für die Doktorandin kommt das nicht infrage. "Frauen sollten tragen können, was sie wollen", sagt sie und bringt die Arbeitgeber ins Spiel. Die Frage solle nicht lauten, was die Kopftuchträgerinnen ändern sollen, um einen Job zu bekommen, sondern warum sie von Arbeitgebern abgelehnt werden und wie mehr Toleranz in heimischen Personalbüros Einzug halten könnte. "Was Sie machen, nennt man Victim Blaming", sagt sie in Richtung der Moderatorin.

Verhärtete Fronten

Die Frage, wer auf wen zugehen müsse, ist natürlich keine simple. Wem fehlt es an Offenheit und Toleranz? Beide Seiten sehen die jeweils andere im Zugzwang. Die eine Seite argumentiert mit Religionsfreiheit, Feminismus und Islamfeindlichkeit, die andere Seite stellt dem den Laizismus entgegen. Denn nicht nur dürfen Frauen das Kopftuch tragen – auch Arbeitgeber können den Arbeitsplatz zu einem religionsfreien Raum erklären. Besonders bei Berufen mit Kundenkontakt spielt das für einige Arbeitgeber eine große Rolle.

Letzte Vermittlerin ist oft die Gleichbehandlungsanwaltschaft, die von vielen Kopftuchträgerinnen aufgesucht wird, die offensichtlich deswegen als Jobanwärterinnen abgelehnt wurden. Hier wird verhandelt, oft werden Entschädigungen und Entschuldigungen angeboten, zur nachträglichen Anstellung komme es aber so gut wie nie, sagt Cornelia Amon-Konrath, die an diesem Abend im Publikum sitzt. Auch sie sieht Arbeitgeber in der Bringschuld. Frauen vorzuschreiben, sich für den Arbeitgeber zu verändern, könne nicht das Ziel sein: "Ich könnte genauso gut zu Frauen sagen, dass sie keine Kinder kriegen sollen, wenn sie Karriere wollen."

Servieren mit rosarotem Kopftuch

Fälle aus der Praxis gibt es genug, aktuell einen in Vorarlberg: "Sie werden doch nicht erwarten, dass ich eine Mitarbeiterin haben will, die ein fundamentalistisches religiöses Symbol weithin sichtbar trägt" – diese Antwort habe die 32-jährige Birgül Yücel auf ihre Bewerbung als Ordinationshelferin bei einem Bregenzer Arzt bekommen. "Das islamistische Kopftuch passt nicht zur europäischen Kultur, und damit werden Sie nie zu einem ordentlichen Job kommen", fuhr der Arzt in der Begründung fort. Die Tonalität tue ihm leid, beim Inhalt bleibe er aber, sagte er den "Vorarlberger Nachrichten".

Die Wiener Konditoreienkette Aida geht einen anderen Weg: Seit etwa fünf Monaten serviert eine Mitarbeitern mit Kopftuch Melange und Punschkrapfen. Die Reaktionen von Kunden und Mitarbeitern seien durchwegs positiv, erzählt Pressesprecher Stefan Ratzenberger: "Es braucht Bewegung von beiden Seiten gegen die verhärteten Fronten." Dialog hat bei diesem Unternehmen geholfen. Wie Arbeitgeber mit unterschiedlichen Kultur, mit Religion und Vielfalt umgehen, wird in Zukunft ein wichtiges Thema sein. Denn nicht nur der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund nimmt in Österreich zu, es wird auch mehr ältere Arbeitnehmer als heute geben, die es auf dem Arbeitsmarkt ebenfalls schwer haben.

Anonymes Bewerben keine Lösung

"Ich bin bestens ausgebildet, weiß, dass ich den Job gut erledigen kann. Vielleicht sogar besser als andere Bewerber", meldet sich eine Frau mit Kopftuch aus dem Publikum. Abgelehnt wurde sie dennoch schon mehrere Male. Irgendwann sei sie so frustriert gewesen, dass sie es auch ohne Kopftuch versucht habe. Arbeitgeber würden befürchten, dass man Religion nicht vom Job trennen kann. "In meinem Fall stimmt das sicher nicht." Allerdings: Wäre das der Fall, würde die Trennung auf einmal funktionieren, nur weil das Kopftuch fehlt?

Welche Lösungsvorschläge gibt es? Anonyme Bewerbungen, in denen sowohl Foto als auch Name nicht aufscheinen, werden oft genannt. Diese würden dem Problem aber nicht gerecht werden – das bestätigen sowohl Draxl, die von einem gescheiterten Pilotprojekt erzählt, als auch Weichselbaumer, die von einer "Scheinaktion" spricht: Spätestens beim Vorstellungsgespräch komme es in den meisten Fällen dann zu jener Auslese, die davor schon stattgefunden hätte. Auch hier gilt das natürlich nicht nur für das Tragen des Kopftuchs, sondern auch für ältere Arbeitnehmer, Menschen mit Behinderung und andere Gruppen, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind.

Weichselbaumer wünscht sich ein gesellschaftliches Umdenken, während Draxl "keine großangelegte Kampagne der Offenheit" in Österreich erkennt. Die Veranstalter bleiben optimistisch: "Wir sollten alles dafür tun, dass es diese Probleme im Jahr 2050 nicht mehr gibt." (lhag, 8.12.2016)