Jede Folge eine neue Geschichte, jede Folge eine neue Besetzung: "Black Mirror" hält uns in mittlerweile drei Staffeln einen Zerrspiegel vor. Es geht darum, was Technik mit Menschen macht, was Menschen mit Technik machen und wie nah uns die Zukunft schon ist. Das ist gruselig oder herzerwärmend, aber manchmal auch banale Technikparanoia.

Statt über die Serie in ihrer Gesamtheit zu reden, machen wir diesmal etwas anders: Jede von uns hat sich eine Folge von "Black Mirror" ausgesucht und versucht an diesem Beispiel die Faszination zu erklären. Oder auch, warum die Faszination nicht besonders groß ist. Aber lesen Sie selbst.

Wie immer gilt: Wer nichts über den Inhalt einzelner Folgen wissen will, sollte ab hier nicht weiterlesen. MEGASPOILERALERT!

Nicht jeder Roadtrip macht Spaß.
Foto: Laurie Sparham/Netflix

Daniela Rom über S03 E03, "Shut up and Dance": Der Mensch is a Kretzn

Ein bisschen Paranoia hat noch nie geschadet. Und geben Sie es zu: Auch Sie haben – wie ich – die Kamera am Laptop überpickt. Man weiß ja nie, und schließlich gibt es auch Berichte darüber, dass wir über unsere Geräte und die integrierten Kameras und Mikrofone abgehört und überwacht werden. So jedenfalls zeigt es auch Episode drei aus der dritten Staffel von "Black Mirror". Mit dem harmlos klingenden Titel "Shut up and Dance" hat die Geschichte dann allerdings nur sehr wenig zu tun.

Ein junger Mann wird von einer nicht näher definierten Gruppe dabei erwischt, wie er vor seinem Laptop beim Schauen eines Pornos masturbiert. Irgendjemandem passt das nicht – warum, werden wir erst ganz zum Schluss erfahren, zumindest ein wenig. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf. Der junge Mann wird per SMS zu verschiedenen Punkten gelotst – immer mit der Drohung, wenn er es nicht mache, werde das Video veröffentlicht, das von ihm während seines Laptop-Intermezzos gemacht wurde. Er trifft auf weitere Leute, die anscheinend ebenfalls von der unbekannten Gruppe zu verschiedenen Taten gezwungen werden.

Der große Showdown folgt in einem Wald. Der junge Mann und ein weiterer sollen sich prügeln, bis einer stirbt. Über ihnen schwebt eine Drohne, bis der junge den anderen Mann tötet. Zuvor haben wir noch erfahren, dass es nicht irgendwelche Pornos waren, sondern Kinderpornos, die beide angesehen hatten. Es sieht kurz so aus, als habe die Erpressergruppe, was sie haben wollte. Warum sie das haben wollte, wissen wir nicht. Und übrigens veröffentlicht sie das Video des jungen Mannes genauso wie die Informationen über all die anderen.

Wer hat's gesehen?
Foto: Laurie Sparham/Netflix

Seine stärksten Momente entwickelt "Black Mirror" immer dann, wenn die Geschichten nur ganz knapp an der Realität vorbeischrammen, eigentlich auch im Hier und Heute genau so stattfinden könnten. "Shut up and Dance" ist keine wilde Science-Fiction-Dystopie, die verwendete Technik gibt es, wahrscheinlich auch die Möglichkeit, sie in dieser umfassenden Form einzusetzen. Eine Handynummer lässt sich schnell herausfinden, sich in die Videokamera zu hacken und den Laptop-Nutzer aufzunehmen auch. Was bleibt also übrig? Übrig bleibt eine Parabel darauf, dass der Mensch böse beziehungsweise zu Bösem fähig ist. In dieser Folge sogar auf allen Ebenen: der Kinderporno-Konsument, aber auch die Erpressergruppe, die in ihrer Selbstjustiz bis zum Äußersten geht.

Wir erfahren in "Shut up and Dance" auch nie, wer die Erpresser sind und warum sie tun, was sie tun. Es ist letztlich auch egal. "Dass der Mensch a Kretzn is, hinterlistig, feig und mies", darüber wusste auch schon Georg Danzer zu singen. Und das zu Zeiten, als das Internet noch nicht einmal in seinen Kinderschuhen steckte. Mit oder ohne Kameras auf tragbaren Computern, mit oder ohne Smartphones, mit oder ohne Instagram, Facebook und Youtube – in menschliche Abgründe blickt der Mensch mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination.

Ähnlich wie "Shut up and Dance" funktionierte schon die allererste Folge von "Black Mirror", die 2011 in Großbritannien im TV lief. In "A National Anthem" wird ein fiktiver britischer Premierminister dazu genötigt, Geschlechtsverkehr mit einem Schwein vor laufenden Kameras zu vollziehen, um damit einen entführten weiblichen Spross der Königsfamilie zu befreien. Die Liveübertragung läuft auf allen Kanälen und erreicht über das Internet auch die letzten Winkel der Nation und der Welt. Am Ende stellt sich heraus, ein Künstler ist verantwortlich für die ganze "Performance", die in der Episode auch als "große Kunst" gelesen wird. Der Zynismus, mit dem diese verstörende Geschichte durchdekliniert wird, wirkt beengend und beängstigend zugleich. Wäre das wirklich möglich? Warum tut jemand so etwas? Aus demselben Grund, aus dem schon immer gemordet, vergewaltigt oder gebrandschatzt wurde: Teil des Menschlichen ist auch das vermeintlich Unmenschliche, das Unverständliche und das Unfassbare.

Michaela Kampl über S03 E06, "Hated in the Nation": Bienenzucht statt Twitter-Krieg

Das Internet zerstören und Bienen züchten: Genau das wollte ich, nachdem ich die letzte Folge der dritten Staffel von "Black Mirror" gesehen hatte. Aber dann habe ich nochmals drüber nachgedacht und mich zu ärgern begonnen. Zuerst kurz zum Inhalt der Folge, später dann zum Ärgern. "Hated in the Nation" macht aus einem virtuellen Twitter-Shitstorm einen echten analogen Killerdrohnen-Massenmord. Aber ab der ersten Erwähnung der Minidrohnen, die aussehen wie Bienen, ist klar, dass sie eine wichtige Rolle spielen werden. Und diese Rolle wird nichts mit Blüten und Honig zu tun haben. Die Drohnen sind das Werkzeug eines persönlichen Rachefeldzugs.

Summ, summ, summ, Bienchen, summ herum.
Foto: Laurie Sparham/Netflix

Der erste Hinweise auf die Existenz der Bienendrohnen war aber auch schon das Spannendste, was diese Folge zu bieten hat. Was folgt, ist pure erzählerische Fadesse. Die Minidrohnen sind gehackt und beginnen zu morden. Der erste richtige Hinweis auf den Aufenthaltsort des Täters ist eine Falle. Der Chefpolizist trifft im falschen Moment die falsche Entscheidung, und Hunderttausende, die sich an einem Shitstorm beteiligt hatten, werden getötet. Die technikaffine Polizistin hat sich nicht umgebracht, sondern findet den Mörder irgendwo in Asien. "Hated in the Nation" ist ein einziger erhobener Zeigefinger. Achtung, Achtung: Hier kommt die Moral! Wir Zuschauer sollen über die Macht der Worte nachdenken. Darüber, dass auch auf Twitter nicht alles nur ein Witz ist. Darüber, dass Minidrohnen, die zur Blütenbestäubung erdacht wurden, auch für andere Zwecke eingesetzt werden.

Klar ist Science-Fiction auch immer das Weiterdenken des Worst Case. Aber dass Drohnen nicht nur Blüten bestäuben, sondern auch von Militär und Regierungen ausgenutzt werden können oder eventuell von bösen Hackern missbraucht und gegen die Bevölkerung eingesetzt werden, ist nicht besonders weit gedacht. Klar, ein Teil der Faszination von "Black Mirror" liegt darin, dass vieles vorstellbar und technisch relativ naheliegend ist. Es ist eben keine weit entfernte Zukunft, die hier erschauern lässt. Sondern der Missbrauch des bereits jetzt fast Machbaren.

Allzu oft ist "Black Mirror" allerdings wie eine Schularbeit mit der Fragestellung "Ist alles, was technisch möglich ist, auch gesellschaftlich wünschenswert?". Die Antwort ist in der überwiegenden Mehrheit der Folgen ein eindeutiges Nein – so auch in "Hated in the Nation". Das soll nicht heißen, dass die Themen aus "Black Mirror" es nicht wert wären, diskutiert zu werden. Aber die Antworten sind meist zu holzschnittartig, zu wenig in die Tiefe gehend, zu banal. Ja, wenn ein grantiger, aggressiver blauer Computertroll Wahlkämpfe gewinnt, ist das deppert. Ja, wenn Social-Media-Likes über den sozialen Status entscheiden, ist das nicht super. Und ja, es ist auch nicht schön, wenn Fremde auf die Kamera des eigenen Computers zugreifen, dabei Privates filmen und dann das Gefilmte als Erpressungsmaterial nutzen.

Ambivalent sind nur wenige Episoden – am ehesten, wenn es um Emotionen und Wünsche geht. In "San Junipero" zum Beispiel. Dort wird die obige Frage mit einem "Ja, vielleicht, aber ich weiß nicht genau. Vielleicht ja auch nicht" beantwortet. Das ist herausfordernder und überraschender und besser.

Anya Antonius über S02 E01, "Be Right Back" und S03 E04, "San Junipero": Hoffnungsvoll ins Jenseits

Gibt es ein Leben nach dem Tod? "Black Mirror" hat darauf ein Jein als Antwort. Der Umgang mit dem Sterben und dem, was danach auf uns und auf unsere Hinterbliebenen wartet, ist das zentrale Thema der Folgen "Be Right Back" und "San Junipero".

Kesse Frisuren und fesche Pullover: Willkommen in San Junipero!
Foto: Laurie Sparham/Netflix

Wie weit würde man gehen, wenn man die Chance hätte, etwas von der Persönlichkeit eines Verstorbenen ins Diesseits herüberzuretten? Diese Frage versucht "Be Right Back" zu beantworten. Martha, deren langjähriger Partner Ash bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, bekommt diese Chance. In tiefster Trauer, schwanger und einsam, lässt sie sich auf ein Computerprogramm speziell für Trauernde ein. Ab sofort steht ihr eine computergenerierte Version ihres Freundes für lange Telefonate zur Verfügung. Als die Stimme alleine nicht mehr reicht, bestellt sie sich einen lebensechten Ash-Klon. Doch – lebensecht ist der leider nur auf den ersten Blick. Seine ganze Persönlichkeit und sein Aussehen bezieht Ash 2.0 aus den durch Social-Media-Postings gefilterten Infos des echten Ash. Und was wir auf Social Media posten, ist eben nicht wirklich unser wahres Ich. Die peinlichen Lieder, die wir heimlich gut finden, die deprimierenden Familiengeschichten, die unvorteilhaften Fotos, die wir nie posten würden – wenn all diese Details, die uns eben auch ausmachen, fehlen, ist das, was bleibt, nichts als ein trauriger Abklatsch unserer selbst. "Es ist nicht genug", muss auch Martha desillusioniert feststellen.

Eine andere Perspektive auf das Thema nimmt "San Junipero" ein. Statt ins mutmaßliche Nichts des Jenseits haben in dieser Realität Todgeweihte die Option, nach einer Testphase ihr Bewusstsein in die virtuelle Realität, die Partystadt San Junipero, hochzuladen und so weiterzuleben. Im Gegensatz zu anderen "Black Mirror"-Folgen gibt es kein furchtbares Erwachen, keine Fallstricke moderner Technologie, kein zynisches Ende. Es geht rein um die Frage, ob und wann es richtig ist loszulassen – erlittene Traumata, vermeintliche Verpflichtungen, das Leben selbst oder die Vorstellung, die man von dem hatte, was danach kommt. Die Liebesgeschichte der schüchternen Yorkie und der mitreißenden Kelly ist schlicht zauberhaft.

80er-Jahre-Idylle. Oder doch nicht?
Foto: David Dettmann/Netflix

Im wahren Leben zwei ältere, todkranke Damen, sind sie in der San-Junipero-Welt jung und gesund und haben theoretisch noch alles vor sich, wenn sie wollen – auch ein Leben zu zweit. Während Yorkie erst im Tod zu dem von ihr erträumten Leben kommt, muss Kelly erst akzeptieren, dass sie ihre bereits verstorbene Familie nicht verrät, wenn sie sich noch einmal fürs Glück entscheidet. Bis zuletzt wartet man auf den brutalen Twist, doch diese Folge ist eine der wenigen, aus denen man mit einem warmen Gefühl entlassen wird. Zwei Episoden, in denen es um den Tod geht – die Zugänge mögen unterschiedlich sein, doch die Fragen, die dahinterstehen, sind zutiefst menschlich und nachvollziehbar: Könnten wir noch einen Tag mit einem geliebten, bereits verstorbenen Menschen verbringen, würden wir nicht alles dafür geben? Selbst wenn wir wüssten, dass es nicht echt ist? Und wenn wir kurz vor dem Ende noch eine zweite Chance zu leben bekämen, würden wir nicht zugreifen?

Doris Priesching über S03 E02, "Playtest": Dunkle Märchenanalyse

Es gibt in der modernen Psychoanalyse die Disziplin der Märcheninterpretation. Eine der wichtigsten Vertreterinnen ist die Schweizer Psychoanalytikerin Verena Kast. Anhand ihres Ansatzes, nämlich Märchen als Überlebensgeschichten zu verstehen, möchte ich "Playtest", die zweite Folge der dritten Staffel von "Black Mirror", analysieren.

Er will ja nur spielen.
Foto: Laurie Sparham/Netflix

Welcher berühmte Mutter-Sohn-Konflikt könnte der Folge namens "Playtest" zugrunde liegen? Ödipus, der nichtwissend mit seiner Mutter Inzest treibt und sich, als ihn die Erkenntnis trifft, selbst in die Augen sticht und davonläuft? Norman Bates, der die Liebe seiner Mutter bis zur Selbstaufgabe sucht und dabei seine eigenen Grenzen findet, die im Wesentlichen darin bestehen, endlich einmal Nein zu sagen und die Meckerei ein für alle Mal abzustellen?

Oder etwa gar Joffrey Baratheon, der Königslümmel aus "Game of Thrones", Spross inzestuöser Liebe, der, sowie er an die Macht gelangt, das Blut von Freund und Feind nur so sprudeln lässt? Welche Motive auch dahinterstecken – Liebe, Enttäuschung, Kränkung, Eifersucht, verletzte Gefühle –, als der junge Cooper seinem Elternhaus zu früher Morgenstunde den Rücken kehrt und auf Weltreise geht, hat er einen ungefähren Plan, was das Mutter-Kind-Verhältnis betrifft: Er will vorerst nichts mit ihr zu tun haben. Was genau dazu geführt hat, dass der beleidigte Herr Sohn die Kontaktversuche seiner Erzeugerin so beharrlich abweist, erfahren wir nicht. Nur, dass es mit dem Vater zu tun haben muss, der "irgendeine Art" von Alzheimer hatte und den Cooper nach eigener Aussage pflegte.

So weit wie möglich von seiner Mutter will das Kind weg und landet am Ende doch wieder bei ihr: Diese Form der Hinterfotzigkeit ist "Black Mirror" eigen und wird von den Machern oft und oft durchgespielt. Genau da, wo man nicht hinwill, landet man am Ende, und das ist gar nicht gut.

Cooper geht es nicht um Selbstfindung (behauptet er zumindest), sondern um Abnabelung, Freiheit, Loslösung. Mit anderen Worten: Er wird erwachsen, rebelliert. Genau das tut Cooper während der gesamten Folge, ganz dezidiert allerdings in dem "Horrorraum" des Spieletests. Anfangs betritt er die Räume – können wir sie als Seelenräume verstehen? – bubenhaft und keck. Je tiefer er allerdings in das Haus eindringt, umso unheimlicher wird das Szenario, umso intensiver muss er sich mit seinen Ängsten konfrontieren. Nach dem Test wird er nicht einmal mehr wissen, wer er ist und wo seine Wurzeln sind. Aber wollte er nicht genau das?

Die Sache eskaliert augenscheinlich, aber tut sie es wirklich? Oder ist das Ende nicht einfach ein Abstreifen des kindlichen Körpers und Cooper den Mutterfluch endlich los? Man kann es so oder so sehen – und genau das ist so herrlich an "Black Mirror": Der Gedankenfreiheit sind keine Grenzen gesetzt. Und die Moral von der Geschicht': Mutter niemals wehtun und erst lesen, dann unterschreiben. (Anya Antonius, Michaela Kampl, Doris Priesching, Daniela Rom, 14.12.2016)