Weihnachten ist für viele Menschen eine Belastung, weil sie alleine sind und der Druck von der Gesellschaft, gerade zu dieser Zeit glücklich zu sein, groß ist.

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"Das Schlechteste ist immer, nicht hinzuschauen", sagt Walter Schöny.

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STANDARD: Es sei die schönste Zeit im Jahr, heißt es immer. Warum treten psychische Probleme zu Weihnachten so häufig auf?

Schöny: Gerade zu Weihnachten sind in den Medien vor allem Menschen präsent, die Hilfe brauchen. Entweder weil sie schwere Schicksalsschläge erlitten haben oder weil sie beeinträchtigt sind. Psychisch Kranke werden hingegen leichter übersehen, weil ihre Krankheit nicht sichtbar ist. Dadurch leiden die Betroffenen noch mehr, weil sie denken: "Alle kriegen Hilfe, aber ich nicht."

STANDARD: Was setzt Betroffene noch unter Druck?

Schöny: Dazu kommt, dass Weihnachten eine Zeit ist, zu der gesellschaftlich verlangt wird, dass es uns gut geht. Da muss man feiern, es gibt viele Lichter, Geschenke werden verteilt. Wenn es jemandem schlecht geht, obwohl es ihm eigentlich gut gehen sollte, werden negative Gefühle noch verstärkt. "Es müsste mir ja gut gehen", denken depressive Menschen dann oft. Dieser Mechanismus ist zu Weihnachten besonders stark, und die Defizite wie Einsamkeit, dass man niemanden hat, den man beschenken kann oder von dem man beschenkt wird, sind für den Einzelnen dann besonders sichtbar.

STANDARD: Die Erwartungen sind also zu hoch?

Schöny: Ja, und das Problem ist, dass sie von der Öffentlichkeit stark geprägt werden. Die Menschen erwarten, dass sie zu Weihnachten glücklich sind. Aber es gibt keinen Knopf, den man betätigen kann, damit die Freude automatisch anfängt.

STANDARD: Gibt es die klassische Weihnachtsdepression, von der man oft hört?

Schöny: Nein. Eine Weihnachtsdepression gibt es nicht, nur sogenannte saisonale Depressionen. Was aber ganz offensichtlich ist: Zu Weihnachten wenden sich viel mehr Menschen an die Krisenhilfe als im Durchschnitt.

STANDARD: Gibt es auch äußere Einflüsse?

Schöny: Ja. Der Winter ist die Jahreszeit, in der saisonale Depressionen häufig auftreten. Das liegt auch daran, dass es draußen dunkler ist.

STANDARD: Wie macht sich eine solche Depression bemerkbar?

Schöny: Die Betroffenen sind traurig, verstimmt, sie verspüren ein Unlustgefühl, gehen weniger nach draußen und haben Angst. Manchmal treten auch Schlafstörungen auf, obwohl Menschen mit einer saisonalen Depression meist auch besonders müde sind.

STANDARD: Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?

Schöny: Bei Frauen sind Depressionen häufiger und auch sichtbarer. Sie lassen sich eher helfen. Bei Männern geht eine Depression oft über in aggressives Verhalten, sie werden schneller streitsüchtig – vor allem in der Kombination mit Alkoholmissbrauch.

STANDARD: Wie kann man gegensteuern?

Schöny: Zuallererst sollte man über vorhandene Probleme reden, mit Freunden oder Familie oder auch mit einer außenstehenden Person. Im nächsten Schritt ist es wichtig, sich fachliche Hilfe zu holen. Es gibt Krisenteams, die sogar Hausbesuche machen. Auch zu dieser Jahreszeit sollte man bewusst nach draußen gehen, Menschen treffen. Mit einer Depression ist häufig verbunden, dass Menschen sich zurückziehen und alles meiden – damit wird es aber nur schlimmer.

STANDARD: Also Kontakte pflegen, alte Bekannte anrufen?

Schöny: Ja, genau. Betroffene warten oft, bis sich jemand bei ihnen meldet. Besser wäre jedoch, dass sie sich überwinden und selbst die Initiative ergreifen.

STANDARD: Und wenn man niemanden kennt?

Schöny: Wenn ein Betroffener wirklich gar keine Bezugspersonen hat, ist es immer noch besser, irgendwo hinzugehen, wo andere Menschen sind, etwa auf einen Christkindlmarkt, in die Natur oder ins Kino. Unter Leuten sein ist immer besser, obwohl es diese Menschen oft große Überwindung kostet. Die wichtigste Botschaft ist: Es wird nicht besser, wenn man nur im Bett liegen bleibt.

STANDARD: Kann auch Sport helfen?

Schöny: Natürlich. Bewegung ist ein ideales Mittel gegen Depressionen. Aber nur, wenn man daran gewöhnt ist, Sport zu machen. Wenn man vorher nie sportlich war, wird sich das in einem depressiven Zustand auch nicht ändern.

STANDARD: Können Außenstehende helfen?

Schöny: Es kann schon helfen, auf einsame oder ältere Menschen in der Umgebung zu achten. Wenn mir auffällt, dass etwa eine alte Nachbarin immer einsam ist, dann ist es grundsätzlich immer besser, sie anzusprechen, als nichts zu sagen. Das heißt aber nicht, dass man sich aufdrängen soll. Man kann etwa eine gemeinsame Aktivität anbieten, die Person in ein Gespräch verwickeln oder sie zum Kaffee einladen. Das Schlechteste ist immer, nicht hinzuschauen. (Bernadette Redl, 24.12.2016)