Auch zu viel Wasser kann gefährlich werden.

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"Trinken Sie viel Flüssigkeit!" Ein Tipp, den schon viele Patienten von ihrem Hausarzt bekommen haben. Wissenschaftler warnen jetzt davor, mit diesem Ratschlag allzu sorglos umzugehen. Denn: Es gibt immer wieder Fälle, bei denen Patienten es mit dem Wassertrinken übertrieben haben. Die mögliche Folge: Wasservergiftung.

In den British Medical Journal Case Reports veranschaulichen die Autorinnen Laura Christine Lee und Maryann Noronha vom Kings College Hospital in London diese Gefahr anhand der Krankheitsgeschichte einer 59-jährigen Britin.

Da die Frau an einer Harnwegsinfektion litt, hatten ihr Mediziner zu vermehrtem Trinken von Wasser geraten. Auf diese Weise sollte "das System durchgespült" werden. Allerdings: In der Folge nahm die Frau etliche Liter Wasser zu sich.

Schwindel, Sprachprobleme und Übelkeit

Als sie später in die Notaufnahme des Royal London Hospitals eingeliefert wurde, erhielt sie Antibiotika und Schmerzmittel zur Behandlung der Harnwegsinfektion. Dabei bemerkten die Ärzte, dass die Frau zittrig und durcheinander war. Außerdem hatte sie diverse Sprachprobleme und musste sich mehrere Male übergeben.

Tests ergaben, dass die Frau an Hyperhydration litt. Dieser Zustand ist ein medizinische Notfall und tritt auf, wenn der Natriumgehalt im Körper auf ein gefährlich niedriges Niveau sinkt. Normalerweise beträgt er zwischen 135 und 145 Millimol pro Liter.

Bei der Patientin war er bereits auf 123 Millimol pro Liter gefallen. Ein lebensbedrohlicher Wert: Die Sterberate bei Menschen mit einem Natriumlevel von 125 Millimol pro Liter liegt bei rund 30 Prozent.

Wasservergiftung als Ursache

Grund für die Hyperhydration und die damit einhergehenden Symptome könnte den behandelnden Ärzten zufolge eine Wasservergiftung gewesen sein. Sie drosselten die Flüssigkeitsaufnahme für die nächsten 24 Stunden auf einen Liter.

Am nächsten Tag fühlte sich die Patienten besser, was die Blutwerte bestätigten, und sie konnte aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Den Ärzten zufolge ist Wasservergiftung bei Menschen mit normaler Nierenfunktion ein extrem seltenes Phänomen. Der aktuell beschriebene Fall ähnelt einer anderen Patientengeschichte, bei der eine Frau während einer Magen-Darm-Entzündung an den Folgen eines Wasser-Überschusses starb.

"Beweismangel für Ratschlag, viel zu trinken"

Schwere Fälle von Wasservergiftung waren bisher im Umfeld von Ausdauersport und der Einnahme der Droge MDMA bekannt. Anekdotenhaft ist in diesem Zusammenhang auch von auf Wasser basierenden Foltermethoden oder von universitären Aufnahmeritualen, wie sie in den USA üblich sind, die Rede.

Die Mediziner merken an, dass bestimmte Krankheiten den Level des Hormons Adiuretin (Vasopressin) steigern. Dieses reduziert die Ausscheidung von Wasser aus der Niere. Sie bezweifeln, dass es in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, möglichst viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen.

"Es herrscht ein Mangel an Beweisen für den Ratschlag, bei milden infektiösen Krankheiten mehr Wasser zu trinken", schlussfolgern sie. Diese Tatsache müsse unbedingt thematisiert werden, da akute Hyperhydration eine hohe Sterblichkeit mit sich bringt. (maka, 30.12.2016)