Ein wissensgesättigter Enthusiasmus, der ansteckend wirkt: Brita Steinwendtner.

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Was macht ihn eigentlich aus, den "Zauber der Dichterlandschaften", wie der Untertitel dieses zentrifugalen Sammelbandes lautet? Es geht in Brita Steinwendtners Unternehmung ja nicht um literarische Schauplätze, sondern um Lebens- und Schreiborte, die meist nur mittelbar Eingang in das jeweilige Werk gefunden haben.

Dafür gewähren die Hausbesuche Einblicke in den äußeren Kosmos der Schreibenden – eine verführerische und durchaus unzeitgemäße Einladung, sich nicht mit Text und Diskurs zu begnügen, sondern dem angeblich obsolet gewordenen Autor-Subjekt auf die Spur zu kommen, dessen Schreibtisch aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen und mit einem Zipfel vom Künstlerhaushalt auch einer Künstlerpersönlichkeit habhaft zu werden.

Kollegiales Fingerspitzengefühl

Brita Steinwendtner unterwindet sich dieser heiklen Aufgabe mit dem Fingerspitzengefühl der Kollegin: Dass sie als langjährige Leiterin der Rauriser Literaturtage viele Freundschaften geknüpft hat, bildet gleichsam den Rahmen ihres Reisenetzwerks. So begleiten wir sie zu Jury Andruchowytsch nach Stanislau und Lemberg, zu Bodo Hell auf "seine" Alm ins Dachsteinmassiv, zu Hubert von Goisern ins Salzkammergut, zu Brigitte Kronauer nach Hamburg, zu Robert Menasse nach Brüssel oder zu Ilma Rakusa ins Schweizer Bergell.

Es ist dies eine elitäre Form des Reisens, jedoch lässt sich nicht leugnen: Auch Literaturtouristen sind Touristen. Wien wird als einziges Reiseziel doppelt gewürdigt: als Von-Geburt-an-Wohnort von Friederike Mayröcker und als Wahlheimat des Weltbürgers Ilija Trojanow, der vor acht Jahren eine Affäre mit dieser Stadt begann, die noch nicht zu Ende ist. Aus einem Anruf beim Makler in Heurigenlaune wurde eine dauerhafte Übung in Sesshaftigkeit. Trojanows Bibliothek im Servitenviertel ist als "imaginäres Weltreich" für Brita Steinwendtner dessen eigentliche "Dichterlandschaft".

Schöne Ironie

Eine schöne Ironie liegt in dem Umstand, dass just der europäische Reisende par excellence Karl-Markus Gauß der Einzige ist, den Steinwendtner in ihrer (und seiner) Heimatstadt Salzburg aufsucht. Er hat einmal gemeint, es zeuge von "gedankenloser Menschenverachtung", "wenn jemand etwas Verfängliches darin erblickt, dass Menschen dort bleiben, wo sie aufgewachsen sind und ihre Familie und ihre Freunde und auch die wachsende Zahl ihrer Toten haben".

Brita Steinwendtners Weg Der Welt entlang ist also auch der paradoxe Fall eines Reisebuchs, das von Daheimgebliebenen und Verteidigern des Rechts auf eine zweite Heimat getragen wird. Gerade diese bekennen sich freudig zu ihrem frei gewählten Fleck Erde.

Martin Pollack zum Beispiel, der gebürtige Bad Haller, der sich im Südburgenland niedergelassen hat, um von dort aus Europas von Gewalt und Krieg "Kontaminierte Landschaften" zu erforschen; oder Alfred Komarek, der sich als Salzkammergutler mit der Erfindung des Gendarmerieinspektors Polt das Weinviertel auf eine Weise zu eigen gemacht hat, die ihm die Weihen des autochthonen Lößbewohners verleiht. Oder Bodo Hell, der winters in Wien wohnt und im Sommer als Senn eine Lebensweise gewählt hat, die man nicht als Arbeitsurlaub definieren kann.

Poetische Reportagen

Wenn die Autorin in einem Glanzstück des Bandes die präzise Beobachtung zur Charakteristik vertieft und Hells Art beschreibt, durchs Gebirg zu gehen, beschreibt sie zugleich seinen poetischen Stil: "Bodos Gehen ist mehr ein Fliegen. Ein fast schwereloses Antippen der Karstrippen, Felsbrocken und Wurzeln, er berührt sie nur flüchtig, es ist ein Drüberspringen, ein sorgsames Ballenabrollen, (...) scheinbar ohne Kraft und mit großer Leichtigkeit und Schnelligkeit." Steinwendtner schreibt keine Homestorys, vielmehr poetische Reportagen. Sie hat mit heißem Bemühen das Werk ihrer Gastgeber studiert und die passenden Passagen parat, um sie ohne Mühe ins Patchwork der Skizze einzufügen. Ihr Fragen entlockt dem Gegenüber etliches, was man noch nie gelesen hat.

Die Basis ihres biografischen Eros ist nicht bloß Bewunderung, sondern stets Sympathie. Steinwendtners diskreter Wissbegier verdanken sich auch empathische Doppelporträts: der "Wortlandstreicher" Ludwig Hartinger und sein Dichterkollege Ales Steger im Karst und in Laibach oder das Autorenpaar Monika Helfer und Michael Köhlmeier in Hohenems.

Blick auf Zweisamkeiten

Überhaupt schaut die Autorin beim Blick über die Schulter des Schreibenden immer auch genau auf Zweisamkeiten, die sich dem Klischee verständnisinniger Musenexistenz entziehen. Wenn sie etwa Brigitte Kronauers Ménage à trois in einem verwunschenen Haus an der Niederelbe skizziert, erzählt sie dabei auch von ihrer eigenen symbiotischen Beziehung zu Ehemann Wolf, der als Reisebegleiter die Fotos des Bandes beigesteuert hat.

Dort, wo die porträtierte Persönlichkeit dem liebevollen Zugriff ein Quantum Sprödigkeit entgegensetzt, ist das Resultat besonders gelungen. Brita Steinwendtners Haltung ist eine schwärmerische, ihr wissensgesättigter Enthusiasmus wirkt freilich ansteckend und macht neugierig, auf die besuchten Gegenden und Menschen, auf deren Bücher, überhaupt auf Neuland. "ich möchte am liebsten leben", heißt es bei Bodo Hell. (Daniela Strigl, Album, 17.12.2016)