Was an der Menschheitsgeschichte am meisten schmerzt: diese Angewohnheit, auch aus schrecklichsten Massakern wenig bis nichts zu lernen. Als ob etwas Menschen dazu drängen würde, in zerstörerische Spiralen zu verfallen, die immer wieder den gleichen Abläufen folgen: zuerst Ausgrenzung, dann Verhetzung, dann Verfolgung von Minderheiten, verbale Gewalt, die entmenschlicht und Adressaten leichter angreifbar macht, schließlich entfesselte, unfassbare Gewalt gegen Zivilisten. Gegen Frauen, Kinder, Alte. Ruanda, der Holocaust, Tschetschenien, Darfur, Exjugoslawien, jetzt Syrien.

Die Welt sieht lange zu und vergisst schnell und nur allzu gerne. Die heutigen Anne Franks haben Twitter-Accounts. Sie melden sich mitten aus der Kriegszone, ihr Leid teilt sich in Echtzeit mit.

Ihre Echtzeit ist aber nicht die unsere: Unsere Zeit läuft in Sicherheit, wir lesen Abschiedszeilen aus Aleppo online, verfasst von Mädchen, jungen Lehrern, Müttern. Diese Stimmen sind nicht verifizierbar, aber sie erzählen das, was seit Jahrhunderten stattfindet. Dann, wenn der Bildschirm dunkel wird, sind wir zwar erschüttert, aber wir gehen zu Bett und schlafen. Auf der anderen Seite wird der Bildschirm vielleicht dunkel, weil eine Bombe das Haus getroffen hat. Vielleicht gibt es diese Stimmen am nächsten Morgen nicht mehr. Viele solcher Nächte und Morgen. Die Welt sah zu und ging schlafen. (Julya Rabinowich, 19.12.2016)