Edith Kapeller wurde mit dem Niederösterreichischen Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Foto: Stift Klosterneuburg

Wien – Jahrhundertealte Texte üben auf Edith Kapeller eine große Faszination aus. Besonders angetan hat es der 26-jährigen Germanistin eine Sammelhandschrift aus dem mittleren 15. Jahrhundert. Sobald ihr der Codex 1253 in die Hände gelegt worden war, strahlte die mit schlichtem Ledereinband über Buchenholz gebundene Handschrift eine ästhetische Anziehungskraft auf sie aus. Kapeller beschloss, ihre Masterarbeit über diesen 165 Blätter starken Papiercodex zu verfassen. Kürzlich bekam sie für ihr fertiges Werk den Anerkennungspreis für Wissenschaft des Landes Niederösterreich verliehen.

In der Anfangsphase ihres Studiums der Deutsche Philologie bewarb sich Kapeller für einen Ferialjob beim Bildungshaus Stift Zwettl. Statt von dort bekam sie ein Praktikumsangebot von der Stiftsbibliothek: "Wie meine Bewerbung dort gelandet ist, wundert mich heute noch. Sicher ist, dass ich durch diesen Zufall meine Leidenschaft für alte Bücher entdeckt habe", sagt die gebürtige Niederösterreicherin, die im Laufe der Zeit vom damaligen Bibliothekar in die Stiftsbibliothek Klosterneuburg mitgenommen wurde.

In Klosterneuburg fiel ihr dann die Handschrift 1253 auf, die sie in ihrer Abschlussarbeit mit dem in der Stiftsbibliothek Göttweig aufliegenden Codex 365 vergleicht. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf den in beiden Sammelhandschriften enthaltenen Belial-Handschriften und ihrem Bezug zum Weltende, dem Jüngsten Gericht. Die Geschichte diente im Mittelalter wohl als Beispiel für Laien: Anhand eines fiktiven Gerichtsprozesses wird erzählt, wie die Höllengemeinde – vertreten vom Belial – eine Klage gegen Christus einreicht. Letztlich finden die Parteien einen Kompromiss. Die Originalübersetzung aus dem Lateinischen, die als Vorlage der Belial-Abschriften in Codex 1253 und 365 diente, entstand wohl im frühen 15. Jahrhundert.

An ihrer Arbeit reizt Kapeller, Bücher zu lesen, die schon viele Menschen vor ihr durchgeblättert haben. Zu analysieren, wer das gewesen sein könnte und welchen Weg die Schriften in den Jahren ihrer Existenz zurückgelegt haben, war Teil ihrer Masterarbeit. "Durch kleine Einträge an den Rändern der Papierseiten ist es teilweise möglich, das festzustellen", sagt die Geschichtsforscherin. Sie erzählt von überraschenden Spuren früherer Besitzer, die darauf hindeuten, dass das Buch auch als Mordinstrument für die eine oder andere Fliege zweckentfremdet wurde.

Sollte Edith Kapeller gerade einmal nicht in hunderte Jahre alten Büchern schmökern, spaziert sie gerne mit den Familienhunden durch ihre Heimat Zwettl. Auch in ihrer Freizeit spielen Bücher eine Hauptrolle. "Zurzeit lese ich Effi Briest. Das kommt als fertige Germanistin vielleicht ein bisschen spät, aber dazu bin ich während des Studiums nicht gekommen", erzählt sie schmunzelnd.

Den Niederösterreichischen Wissenschaftspreis bekommen zu haben war für Edith Kapeller eine positive Überraschung: "Soweit ich weiß, werden eher Dissertationen eingereicht. Das gibt mir natürlich eine besondere Motivation weiterzumachen!" Seit April ist sie mit ihrer Dissertation an der Universität Wien im Bereich der Deutschen Philologie beschäftigt, in der sie zur Babenberger-Genealogie Ladislaus Sunthayms forschen will. (Geraldine Zenz, 24.12.2016)