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Nahe dem Tatort wurden Kerzen aufgestellt, um der Opfer zu gedenken.

Foto: AP Photo/Michael Sohn

Europaweit wird nach Anis Amri gefahndet.

Berlin/Düsseldorf – Zwei Tage nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin fahnden die Sicherheitsbehörden mit Hochdruck nach einem einschlägig bekannten Verdächtigen. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte am Mittwochabend Bilder und Personenbeschreibung des 24-jährigen Tunesiers Anis Amri.

Gegen ihn bestehe dringender Tatverdacht im Zusammenhang mit dem Lkw-Anschlag mit zwölf Toten, erklärte die Bundesanwaltschaft. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger wurde ein Asylantrag des Verdächtigen bereits im Sommer abgelehnt. Eine Abschiebung sei geplant gewesen, aber an fehlenden Papieren aus seinem Heimatland gescheitert.

Die Bundesanwaltschaft setzte eine Belohnung von bis zu 100.000 Euro für Hinweise aus, die zur Ergreifung des Mannes führen. Bürger wurden gewarnt, er könnte gewalttätig und bewaffnet sein. Auf seine Spur kamen die Ermittler nach Angaben aus Sicherheitskreisen, weil unter dem Fahrersitz des Tatfahrzeugs eine Duldungsbescheinigung aus Nordrhein-Westfalen auf den Namen Anis Amri gefunden wurde. Der Mann werde als "brandgefährlich" eingestuft.

SEK überprüfte Mann

Auf der Suche nach dem Terrorverdächtigen hat ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei im Berliner Stadtteil Kreuzberg einen Mann überprüft. Es habe sich aber nicht um den Gesuchten gehandelt, erklärte Polizeisprecher Winfrid Wenzel am Mittwochabend. Einen Bericht, wonach das SEK zwei Wohnungen gestürmt habe, wies Wenzel zurück. Der Einsatz habe nicht in einer Wohnung stattgefunden.

Den italienischen Behörden liegen nach Information der "Welt" Fingerabdrücke von Amri vor. Sie könnten dabei helfen, offene Fragen zum Tathergang in Berlin zu klären. So ließe sich durch Vergleiche mit Fingerabdrücken am Lkw und Tatort möglicherweise eindeutig feststellen, ob Amri am Steuer des Sattelschleppers saß.

Tatbeteiligung nicht erwiesen

Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière teilte am Mittwoch mit, dass der Verdächtige seit Mittwoch in Deutschland und Europa zur Fahndung ausgeschrieben sei. Der CDU-Politiker äußerte sich aber vorsichtig und nannte weder den Namen noch Einzelheiten. Zudem betonte er, es müsse sich nicht zwangsläufig um den Attentäter handeln. Auch NRW-Innenminister Jäger sagte, die Tatbeteiligung des Verdächtigen sei nicht erwiesen. Am Dienstag hatte der Generalbundesanwalt einen bis dahin verdächtigten Pakistaner auf freien Fuß gesetzt, weil sich der Tatverdacht gegen ihn nicht erhärtete.

Schon länger im Visier der Fahnder

Jäger zufolge ist der Verdächtige seit längerem im Visier der Behörden und war als islamistischer "Gefährder" eingestuft. Er sei "durch Kontakte zu einer radikal-islamitischen Szene aufgefallen". Die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte die Tat am Dienstag für sich reklamiert. Täterwissen gab der IS nicht bekannt.

In Berlin wurde Jäger zufolge sogar ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorbereitens einer staatsgefährdenden Straftat gegen den Verdächtigen geführt. Sein Asylantrag sei im Juni abgelehnt worden. Der Mann habe aber nicht abgeschoben werden können, weil die nötigen Ausweis-Papiere nicht vorlagen. Ersatzpapiere aus Tunesien seien erst am Mittwoch eingetroffen.

Verdächtiger ist "hochmobil"

"Die Sicherheitsbehörden haben ihre Erkenntnisse zu dieser Person im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum ausgetauscht", sagte Jäger. Das Landeskriminalamt NRW habe beim Generalbundesanwalt das Verfahren gegen ihn angestoßen. Der Generalstaatsanwalt in Berlin habe dann die Ermittlungen geführt. Der Verdächtige sei "hochmobil" und habe sich in Baden-Württemberg, Berlin, dann in Nordrhein-Westfalen und dann wieder seit Februar überwiegend in Berlin aufgehalten. Er scheine im Juni oder Juli 2015 nach Deutschland eingereist zu sein.

Bei den Ermittlungen ging es Justizkreisen zufolge um einen geplanten Einbruch, um die Anschaffung automatischer Waffen zu finanzieren. Der Mann wurde demnach von Berliner Sicherheitsbehörden observiert, der Verdacht habe sich aber nicht erhärtet. Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR unterhielt Amri Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Predigers Abu Walaa, der auch als die Nummer Eins des IS in Deutschland bezeichnet wird.

Tunesien vor sieben Jahren verlassen

Nach einem tunesischen Rundfunkbericht verließ Anis Amri seine Heimat vor sieben Jahren. Er sei bereits in Italien für vier Jahre in Haft gewesen, weil er eine Schule abgebrannt habe, berichtete der Sender Radio Mosaique am Mittwoch unter Berufung auf Sicherheitskreise. Der Vater sagte dem Sender, sein Sohn sei vor etwa einem Jahr nach Deutschland gekommen.

Dem Berliner Senat zufolge werden in Berliner Kliniken noch zwölf Patienten behandelt, die bei dem Anschlag schwerste Verletzungen erlitten haben. Einige Personen befänden sich weiter in einem kritischen Zustand.

Israelische Frau unter Opfern

Unter den Todesopfern des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt ist auch eine israelische Frau. Dies bestätigte am Donnerstag ein Sprecher des israelischen Außenministeriums. Die israelische Botschaft kümmere sich um die Überführung der Leiche in die Heimat. Die Frau war mit ihrem Mann auf dem Weihnachtsmarkt gewesen und nach dem Anschlag am Montagabend als vermisst gemeldet worden.

Ihr Mann, ebenfalls israelischer Staatsbürger, wurde bei der Attacke schwer verletzt. Er sei mehrmals operiert worden, schwebe aber nicht mehr in Lebensgefahr, berichtete die Nachrichtenseite "Ynet". Das Ehepaar habe zwei erwachsene Kinder. Sie waren in Berlin, um bei der Identifizierung zu helfen.

Die Polizei hat ihre Tatortarbeit auf dem Breitscheidplatz abgeschlossen und ihn offiziell wieder freigegeben. Der nach dem Anschlag geschlossene Weihnachtsmarkt zu Füßen der Gedächtniskirche soll am Donnerstag wieder öffnen. Um 11 Uhr soll es in der Kirche zudem eine Andacht geben. (Reuters, APA, 21.12.2016)