Sowjetautor Andrej Platonow mit seinem Sohn, der als Halbwüchsiger in das Mahlwerk des Stalin'schen Terrors geriet.


Foto: Suhrkamp

Andrej Platonow, "Die Baugrube", Roman. Aus dem Russischen übersetzt, mit Kommentaren und einem Nachwort versehen von Gabriele Leupold. Mit einem Essay von Sibylle Lewitscharoff. € 24,70 / 240 Seiten. Suhrkamp: Berlin 2016

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Wien – Ein neues Zeitalter bricht an in der jungen Sowjetunion. Erdarbeiter schuften in einer Baugrube, um ein "gemeinproletarisches Haus" zu errichten, einen symbolbeladenen babylonischen Turm. Klein und elend sind die Städte, in denen die Schaufler auf dem kalten Boden unwirtlicher Baracken nächtigen. Sie fallen in einen todesähnlichen Schlaf. Selbst das Gras, das "trockene Kroppzeug des Bodens", scheint noch in Armut und bitterer Entbehrung zu leben.

In den Herzen der Proletarier nisten Ängste und Zweifel, die so gar nicht zum staatlich verordneten Zukunftsoptimismus passen. Vor allem aber können sie nicht authentisch sprechen. Durch ihre Köpfe spuken unablässig die Losungen und Initiativen, die Väterchen Stalin an sie ausgegeben hat.

In diesem Kauderwelsch voller verbogener Phrasen hallt die Inhumanität verstörend nach. Der Atem der schlafenden Erdarbeiter geht "stöckrig". Über einen Vorzeigeaktivisten heißt es in Die Baugrube vollmundig: "Die allgemeine weltumfassende Unscheinbarkeit wie auch die menschliche unkultivierte Verzagtheit bestürzten Safronow und erschütterten die ideologische Einstellung in ihm."

Andrej Platonows Roman (1930) ist das beklemmende Dokument der Unmenschlichkeit. Platonow, ein dichtender Ingenieur aus Woronesch, hat an die Züchtung des "Neuen Menschen" womöglich selbst geglaubt. Der Sohn eines Metallarbeiters wusste jedenfalls aus eigener Anschauung, wovon er schrieb.

Platonow verstand sich auf die Trockenlegung von Sumpfgebieten. Nebenher verschlang er die Schriften von Marx und Darwin und machte sich in Fragen der Organisationstheorie kundig. Quasi ein Musterschüler der Russischen Revolution. Die Partei, voran Stalin, hatte dennoch keine rechte Freude mit ihrem privatgelehrten Aktivisten.

Der Krieg von oben

Platonow (1899-1951) bezeugte in seinen Romanen und Erzählungen die verheerenden Auswirkungen der Zwangskollektivierung. Stalins Sowjetkommunismus bedeutete an der Jahrzehntschwelle von 1930: Krieg der Planungsstellen gegen die meistenteils bäuerlichen Menschen in den endlosen Weiten Russlands.

Doch damit ist es nicht getan. Der Autor der Baugrube denkt an eine neue Verbrüderung der Menschen. Unter dem Einfluss von Erlösungsfantasten wie Nikolaj Fjodorow entwirft er die Umrisse der neuen sozialistischen Weltgesellschaft. Entwurzelt müssen sie werden, verwaist sollen sie sein, die Kinder der Kleinbesitzer.

Während die Exekutoren des "Fünfjahresplanes" noch im bürokratischen Nominalstil schwelgen, wird ein kleines Mädchen unter dem Leichnam ihrer verendeten Mutter hervorgezogen. Das Kind wird zum verhätschelten Maskottchen des Arbeitstrupps. Die vorlaute Nastja kräht fröhlich, wer in ihren unverdorbenen Augen den Tod verdient. Und der Tod ist der verlässlichste Gleichmacher in dieser Hölle auf Erden. Er schreckt naturgemäß auch vor Nastja nicht zurück.

Platonows komprimierte Prosa liest sich wie die Sprache von einem finsteren Stern. Man wird Zeuge, wie die Kleinbauern vor dem Zwangseintritt in den "Kolchos" noch rasch ihre Tiere schlachten und verzehren. Sie treiben auf und laufen "schwer, wie wandelnde Scheunen". Widerspenstige werden auf Flöße gesetzt, mit denen sie dem Meer entgegen in den Untergang treiben.

Josef Stalin schrieb höchstpersönlich an den Rand einer Seite von Platonows Prosa: "Lump". An eine Publikation war nicht zu denken, Eingaben an den Großfunktionär Maxim Gorki blieben wirkungslos. Andrej Platonows Dichtungen – unter ihnen auch der von Frank Castorf dramatisierte Roman Tschewengur – dokumentieren die Sinnentleerung eines fatalen Großexperiments.

Ihr Autor erlag, relativ jung und vergessen, einem Tuberkuloseleiden. Die mustergültige Neuübersetzung der ewig vergriffenen und jetzt frisch kommentierten Baugrube öffnet den Blick auf einen verfemten Teil der Moderne. Kollegen wie Nobelpreisträger Joseph Brodsky sangen unverdrossen das Lob dieses ins Abseits gedrängten Absurden. In dessen Werk scheint eine christlich getönte Erlösungssehnsucht auf, die von der Staatsmacht sofort pervertiert wurde.

In einem instruktiven Nachwort spürt man, wie Sibylle Lewitscharoff um Fassung ringt. Der Sprache dieser "Paradiesschaufler" sei mit herkömmlicher Sozialkritik nicht beizukommen: "Jedes Wort tötet mindestens hundert Menschen. Jeder Satz gebiert ein höchst reales Ungeheuer." Die Stimmen der Toten beschweren das Herz und stören den Schlaf. (Ronald Pohl, 22.12.2016)