Das Gesamtwerk Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) ist jetzt in noch nie dagewesener Vollständigkeit zu erwerben.


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Wien – Die Superlative sind rasch wiedergegeben: Mozart 225 umfasst 200 CDs mit einer Laufzeit von 240 Stunden, darauf sämtliche vollendete Werke Mozarts einschließlich seiner Bearbeitungen fremder Werke, dazu mehr als 100 Fragmente mit Ergänzungen von anderer Hand. Aufnahmen von über 600 Interpreten und von insgesamt 18 Plattenlabels, nicht nur von Decca und Deutsche Grammophon, von denen das Projekt in Zusammenarbeit mit der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg realisiert wurde.

Das Jubiläum als Aufhänger – anders geht es heute wohl nicht, auch wenn es rundere Jahrestage als den 225. Todestag Mozarts am 5. Dezember 2016 geben mag. 25 Jahre sind seit der Erstausgabe der Complete Mozart Edition (Philips Classical) ins Land gezogen, die zuletzt 2006 nochmals wiederbelebt wurde. Spätestens da machte sich freilich schon deutlich bemerkbar, dass man Interpretationen mit historisch informierter Aufführungspraxis fast zur Gänze ignoriert hatte. Eine Alternative dazu war also naheliegend. Dass sie neue Fragen aufwerfen würde, war klar.

DeccaClassics

Über Sinn oder Unsinn eines solchen Unterfangens entscheiden allerdings Jubiläen ohnedies nicht. Der Markt, um die 15.000 Exemplare der limitierten Edition aufzunehmen, ist zweifellos vorhanden.

Wohlüberlegt wirken Anlage und Inhalt: Vier Bereiche gliedern sich in Kammermusik (einschließlich Solowerken), Orchesterwerke, Bühnenwerke sowie Kirchenmusik und "anderes": Freimaurermusik, Lieder und Kanons. So viel Mozart war tatsächlich noch nie, wenn auch absolute Vollständigkeit eine Illusion bleiben muss. Wenn einerseits auch Funde aus den jüngsten Jahren berücksichtigt werden konnten – etwa das Manuskript der a-Moll-Klaviersonate KV 331 ("alla turca") -, dann heißt das andererseits, dass jederzeit wieder etwas Neues auftauchen kann.

Originalinstrumente

Dass man anders als vor einem Vierteljahrhundert die Erkenntnisse der "Originalklang"-Bewegung nicht einfach links liegen lassen kann, schlägt sich deutlich in der Auswahl der Interpretationen nieder. Andererseits wäre es wohl illusorisch, vollkommen konsequent nur auf historisch informierte Aufführungen zurückzugreifen. Und so wurde eine Lösung gefunden, die man wahlweise als Kompromiss oder aber als Quadratur des Kreises bezeichnen kann. Da stehen Wiedergaben von Alfred Brendel oder Sandor Végh friedlich neben John Eliot Gardiner, Christopher Hogwood oder Trevor Pinnock.

Der Clou dabei: Alle Symphonien und Instrumentalkonzerte wurden in Aufnahmen auf historischem Instrumentarium vorgelegt. Daneben bieten jedoch nicht weniger als 30 CDs (!) alternative Interpretationen der beliebtesten Werke auf modernen Instrumenten für, man könnte zugespitzt und ohne Häme sagen: Genusshörer. Bei den Opern ist die Auswahl aus naheliegenden Gründen nicht so systematisch, aber ebenso pluralistisch: Hier dirigieren unter anderem Claudio Abbado, Gardiner, Erich Kleiber, Charles Mackerras, Yannick Nézet-Séguin oder Georg Solti, werden also etliche Jahrzehnte und Zugangsweisen abgedeckt.

Online-Erweiterung

Es ist also ein buntes Bild, das viel eher die reale heterogene Praxis von Mozart-Interpretationen zeigt, als dass hier selbst eine Richtung vorgegeben würde. Wenn bei der Auswahl der Fragmente und Vervollständigungen, der Bearbeitungen und der Werke mit "zweifelhafter" Urheberschaft Mozarts die Aufführbarkeit das wesentlichste Kriterium war – das räumt der Begleittext auch freimütig ein -, verbinden sich Wissenschaftlichkeit und Orientierung an den Bedürfnissen breiterer Hörerschichten. Dieser Spagat ist gut gelungen – ebenso wie die Anbindung an die Stiftung Mozarteum. Exemplarisch zeigt sich das an den neuen Aufnahmen mit Mozarts Originalinstrumenten.

Und so wie diese Instrumente in einem der beiden enthaltenen Bücher vorgestellt werden – nämlich knapp, präzise und anschaulich -, so gibt sich das gesamte Begleitmaterial, zu dem auch noch eine Dokumentarbiografie von Cliff Eisen vom King's College London gehört. Ein umfassendes Inhaltsverzeichnis sowie Libretti stehen online bereit. Fünf Kunstdrucke und die gediegene, doch keineswegs protzige Ausstattung machen so viel Freude schon beim Auspacken, wie man das wohl nicht von jedem Geschenk um 360 Euro behaupten kann. (Daniel Ender, 23.12.2016)