Berlin – Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere hat SPD und die Grünen aufgefordert, ihre Abwehrhaltung bei neuen Asylgesetzen aufzugeben. Wären Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten eingestuft, würden Asylverfahren auch bei Tunesiern schneller und einfacher verlaufen als bisher, sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag". Er habe weder vor dem aktuellen Fall noch danach Verständnis für die Blockadehaltung der Grünen. Bislang steht eine Einigung bei der Einstufung der Maghreb-Staaten aus. Das geplante Gesetz soll die Asylverfahren von Menschen aus diesen Staaten verkürzen, so dass schnellere Abschiebungen möglich werden.

Tunesien hatte sich bis vergangenen Mittwoch geweigert, den mutmaßlichen Attentäter von Berlin, Anis Amri, aufzunehmen. Er sollte in der Vergangenheit sowohl aus Italien als auch aus Deutschland in seine Heimat abgeschoben werden. Der 24-Jährige hatte keine Ausweispapiere, die ihn als Tunesier auswiesen. Das nordafrikanische Land verweigerte daraufhin zunächst, Amri einreisen zu lassen.

Beim Thema schnellerer Abschiebungen setzt de Maiziere auf eine Einigung mit der SPD. Er habe bereits im Oktober vorgeschlagen, Asylbewerbern, die nicht an ihrem Verfahren mitwirken, keine Duldung mehr zu geben, sondern nur noch eine Ausreisebescheinigung. "Wer über seine Identität täuscht, muss über das bisherige Maß hinaus Konsequenzen spüren, beispielsweise indem wir Sozialleistungen reduzieren und die Abschiebung erleichtern", sagte der Bundesinnenminister. Im kommenden Jahr soll die Zahl der Abschiebungen nochmals deutlich steigen. Gleich Anfang 2017 würden Bund und Länder ein gemeinsames Zentrum für koordinierte Rückführung einrichten. Zudem würden zusätzlich 40 Millionen Euro für freiwillige Ausreisen bereitgestellt.

Abschiebungen beschleunigen

Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Fretag in Berlin angekündigt, die bisherige Sicherheitspolitik schnell und umfassend überprüfen zu wollen. Der Fall des von der italienischen Polizei getöteten Amri werfe "eine Reihe von Fragen auf". Sie drängte darauf, Abschiebungen nach Tunesien "deutlich" zu beschleunigen und deren Zahl zu erhöhen. Sie habe Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) gebeten, in Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, den Sicherheitsbehörden und den Bundesländern "jeden Aspekt" des Falls zu analysieren, sagte Merkel. "Wir werden jetzt mit Nachdruck prüfen, inwieweit staatliche Maßnahmen verändert werden müssen." Dort, wo Bedarf für politische und gesetzliche Veränderungen gesehen werde, "werden wir notwendige Maßnahmen in der Bundesregierung zügig verabreden und umsetzen", kündigte die Kanzlerin an.

Auch de Maizière sagte, nach dem Tod des mutmaßlichen Attentäters sei "jetzt auch die Zeit gekommen, um über Konsequenzen zu reden". Dazu werde er sich "sehr bald" mit Maas treffen. Der Innenminister wies darauf hin, dass er bereits vor einiger Zeit Gesetzesvorschläge zur leichteren Abschiebung sogenannter Gefährder sowie für strengere Regeln im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern vorgelegt habe. Zudem könne es um das Durchsetzen von Wohnsitzauflagen gehen.

Auch Maas sprach von Beratungen, die "sehr zügig im Januar" stattfinden sollten. Dabei werde es "insbesondere um die Fragen gehen, wie Ausreisepflichtige so schnell wie möglich abgeschoben werden und wie Gefährder noch besser überwacht werden können", sagte auch er. "Klar ist: Unsere Sicherheit und unsere Freiheit müssen wir mit allen zur Verfügung stehenden rechtsstaatlichen Mitteln schützen", betonte der SPD-Politiker.

Maas wandte sich allerdings auch gegen ein übereiltes Vorgehen. "Konkrete politische Schlussfolgerungen können wir erst dann abschließend vorlegen, wenn dieses abscheuliche Verbrechen umfassend aufgearbeitet ist."

Forderung nach Gesetzesverschärfungen

Der Tunesier Amri war in der Nacht zum Freitag in Mailand bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet worden. In den vergangenen Tagen hatte es immer wieder kritische Fragen gegeben, warum er sich, obwohl er als Gefährder eingestuft und ihm ein Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen zugewiesen war, relativ ungehindert in Deutschland bewegen konnte und warum es nicht gelang, ihn nach seiner Ablehnung als Asylbewerber in sein Heimatland abzuschieben.

Vor allem aus den Reihen von CDU/CSU und AfD wurden deswegen Gesetzesverschärfungen gefordert. Dabei ging es neben leichteren Abschiebungen auch um den Einsatz "elektronischer Fußfesseln" bei Gefährdern und um einen besseren Datenaustausch. Neue Debatten gibt es auch um die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer.

CSU-Chef Horst Seehofer verlangte in der "Welt am Sonntag" die neuerliche Überprüfung der Identität aller Asylbewerber, bei denen dies bisher "nur mit einem formalisierten Fragebogen" erfolgt sei. Bei unbegleiteten Minderjährigen sollten deren Altersangaben durch Röntgenuntersuchungen überprüft werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) rief im Portal "Focus Online" dazu auf, die Videoüberwachung deutlich auszuweiten.

Polizei in Kritik

De Maizière hat indes ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters bestritten. "Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag".

Zu diesem Zeitpunkt schon ein abschließendes Fazit zu ziehen, wäre nicht seriös, betonte de Maizière. "Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen."

Die Polizei steht in der Kritik, unmittelbar nach dem Anschlag vom vergangenen Montag mit zwölf Toten wichtige Hinweise auf den mutmaßlichen Täter übersehen zu haben. Zudem hatten die Sicherheitsbehörden zuvor eine monatelange Überwachung des als Gefährder eingestuften Tunesiers Anis Amri eingestellt. (APA, Reuters, red, 24.12.2016)