Nein, sie hat keine gute Nachrede dieser Tage, die Ideologie. Man solle nicht ideologisch agieren, heißt es da, die ideologischen Scheuklappen lieber ablegen. Nur ja die Hände weg von der ideologischen Mottenkiste, sonst wird man am Ende noch zum Chefideologen befördert!

In dieser sprachlichen Verwendung dient Ideologie als ein Prädikat für alles, was einem am politischen Gegner nicht gefällt. Oft wird der Begriff als das Gegenteil von Pragmatismus verwendet, oft als Synonym für politisch extreme Ansichten.

Eine allgemein akzeptierte Definition dessen, was Ideologie ist, gibt es nicht. Der Politikwissenschafter John Gerring hat aber in einer fundierten Diskussion des Begriffs viele Definitionen analysiert und ein Merkmal herausgearbeitet, das allen gemein ist: Kohärenz.

Wenn Ideologien aufeinandertreffen: Bei FPÖ-Veranstaltungen wird oft gegen Parteichef Heinz-Christian Strache demonstriert.
Foto: apa/Fohringer

Eine mögliche Minimaldefinition lautet somit, dass Ideologie eine Menge von Ideen und Vorstellungen bezeichnet, die sich zueinander nicht willkürlich verhalten, sondern einer bestimmten Logik folgen (welcher Logik, darüber wiederum gibt es keine Einigkeit, wie Gerring anmerkt). Ideologisch ist demnach jemand, dessen politische Ansichten über verschiedene Bereiche miteinander zusammenhängen. Weiß ich etwa, was diese Person über Steuerpolitik denkt, so kann ich davon bis zu einem bestimmten Grad auf ihre Haltung in anderen Politikbereichen (etwa Sozialpolitik oder Umweltschutz) schließen. Betrachtet man größere Gruppen von Personen, dann erschließt sich deren Ideologiegrad darin, wie sehr bestimmte Einstellungen miteinander korrelieren.

Einen interessanten Vergleich zwischen Wählern und politischen Aktivisten und Eliten bieten dabei die Daten aus der Autnes-Vorwahlbefragung und der Autnes-Kandidatenbefragung (beide aus dem Jahr 2013). Dabei wurden zwölf Einstellungsfragen (fast) wortident in beiden Surveys abgefragt. Dadurch können wir die Korrelationen zwischen denselben Einstellungen bei Wählern und Nationalratswahlkandidaten ermitteln.

Die Fragen gliedern sich in drei Teilbereiche: Wirtschaft und Soziales (wb), Gesellschaft und Bildung (gb) und Zuwanderung (zw), der genaue Wortlaut ist hier zu finden. Die erste Grafik zeigt, wie sehr die zwölf Einstellungsfragen bei den Wählern korrelieren. Es werden absolute Spearman-Korrelationen abgebildet, wobei Werte zwischen 0 (kein Zusammenhang) und 1 (perfekter Zusammenhang) möglich sind. Je kräftiger die Schattierung, desto höher der Wert.

Grafik: Laurenz Ennser-Jedenastik

Im Durchschnitt korrelieren die Werte hier nur mit 0,15 (ohne die Diagonale gerechnet, wo alle Werte gleich 1 sind). Höhere Korrelationen gibt es vor allem zwischen den drei Zuwanderungs-Items (0,5 bis 0,64) und zwischen Zuwanderung und einigen gesellschaftspolitischen Fragen (etwa bei gb4, der Frage nach härterer Bestrafung für Straftäter). Abgesehen davon erscheinen die Wähler hier nicht besonders ideologisch. Eine bestimmte Einstellung in einem Politikbereich gibt kaum Aufschlüsse über die Haltung in einem anderen.

Ganz anders sieht es bei den Daten aus der Kandidatenbefragung aus. Hier beträgt die durchschnittliche Korrelation immerhin 0,38. Die Kohärenz zwischen den politischen Ansichten ist deutlich höher, vor allem bei Zuwanderung und ausgewählten Gesellschaftspolitik-Items. Natürlich sind die Zusammenhänge nicht perfekt, aber Rückschlüsse von einem Politikbereich auf andere sind viel leichter möglich.

Grafik: Laurenz Ennser-Jedenastik

Wähler sind also nicht besonders ideologisch, Politiker hingegen schon (mehr Forschung dazu hier). Der höhere Ideologiegrad unter Politikern hat viele Vorteile: Er schafft klare politische Konfliktlinien, senkt die Informationskosten für die Wähler, ermöglicht konsistente politische Programme und sorgt für eine gewisse Stabilität in der Parteienkonfiguration über längere Perioden hinweg.

Schimpfen wir also nicht auf die Ideologie. Sie ist einem demokratischen Gemeinwesen durchaus nützlich. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 29.12.2016)