Anders als Kanzler Kern (SPÖ) und Vizekanzler Mitterlehner (ÖVP) zählt Sozialminister Stöger eine sinkende Steuerquote nicht zu seinen Zielen: "Hauptziel einer Steuerreform muss eine gerechtere Verteilung sein und nicht eine generelle Senkung."

Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

STANDARD: In Ihrem ersten Jahr als Sozialminister sind Sie zum Reibebaum der ÖVP geworden. Hätten Sie gern die Rolle des Minister Unauffällig zurück, den Sie in Ihren früheren Ressorts verkörperten?

Stöger: Nein, denn ich habe mit Gegenwind gerechnet. Das Sozialministerium ist ein Schlüsselressort, da geht es um Themen, die Menschen bewegen. Logisch, dass es da manchmal hart auf hart geht. Da darf man nicht persönlich beleidigt sein, am Ende zählt das Ergebnis: Wie kriege ich was für die Leut' hin?

STANDARD: Bei der Mindestsicherung haben Sie eben kein Ergebnis in Form einer österreichweit einheitlichen Regelung hingekriegt.

Stöger: Aber nicht, weil der Bund versagt hätte, sondern weil einzelne Landesregierungen – jene von Oberösterreich und Niederösterreich – auf Kosten des Ganzen persönliche Konflikte gegen die Regierung führen wollten. Einfach auch deshalb, um in den Medien Schlagzeilen zu machen.

STANDARD: Nach all dem, was Sie im monatelangen, fruchtlosen Streit erlebt haben: Was spricht dafür, dass die Arbeit im neuen Jahr in der Koalition funktionieren soll?

Stöger: Dass letztlich in beiden Koalitionsparteien jene Gruppen gestärkt wurden, die sich für eine gesamtösterreichische Politik einsetzen. Deshalb bin ich guter Hoffnung.

STANDARD: Auch Sozialdemokraten tanzen aber aus der Reihe. Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl will mit Neuwahlen drohen, sollte es keine neuerliche Steuerreform geben. Sind Sie für ein solches Ultimatum?

Stöger: Davon halte ich nichts. Neuwahlandrohungen sind derzeit sicher nicht zielführend. Jeder erwartet sich von einer Regierung, dass sie arbeitet.

STANDARD: Und inhaltlich: Sind Sie wie Niessl für eine neuerliche Entlastung der Einkommen in der Größenordnung von fünf Milliarden?

Stöger: Eine solche Steuerreform haben wir bereits gemacht, die ist erst ein Jahr alt. Die Wiederholung des Alten ist nicht sinnvoll. Jetzt brauchen wir andere Instrumente.

STANDARD: Welche?

Stöger: Das werden wir in der Koalition diskutieren, um einen gemeinsamen Weg zu finden. Aber es ist kein Geheimnis, dass es uns Sozialdemokraten um die klassische Frage geht, wie man Arbeitseinkommen geringer und Finanzkapital höher besteuern kann.

STANDARD: Die ÖVP will die Steuerquote senken. Sie auch?

Stöger: Sollte sich ein außerordentliches Wirtschaftswachstum einstellen, habe ich natürlich nichts dagegen, wenn die Steuer- und Abgabenquote als Folge rechnerisch sinkt. Aber staatliche Leistungen dürfen nicht beschnitten werden, um die Steuern zu drücken. Das Hauptziel einer Steuerreform muss eine gerechtere Verteilung sein und nicht eine generelle Senkung.

STANDARD: Sie wollten selbst auch eine Quote drücken: Die Arbeitslosigkeit solle in Ihrer Amtszeit sinken, gaben Sie vor einem Jahr als Ziel aus. Laut Arbeitsmarktservice wird sie 2017 aber steigen. War 2016 also ein verlorenes Jahr?

Stöger: Ich unterscheide zwischen Prognosen und der Realität. Als ich als Sozialminister begann, hat man auch eine steigende Arbeitslosigkeit vorausgesagt, doch immerhin blieben wir heuer stabil.

STANDARD: Der Turnaround ist aber nicht gelungen. Was wollen Sie tun, um den Trend umzukehren?

Stöger: Die Anstrengungen bei jenen Aktivitäten erhöhen, die wir bereits eingeleitet haben. So haben wir mit der Ausbildungspflicht bis 18 und der Ausbildungsgarantie bis 25 Jahre die größte Qualifizierungsoffensive der Zweiten Republik auf den Weg gebracht. Dazu gehört der Schwerpunkt, Menschen eine zweite Chance am Arbeitsmarkt zu bieten. Ich habe deshalb die Facharbeiterstipendien, die Arbeitnehmern Ausbildungen für nachgefragte Berufe finanzieren, wieder eingeführt. Ab 1. Jänner haben wir 6500 Plätze vorgesehen, das lässt sich mindestens verdoppeln. Aber beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit liegt nicht alles in unserer Hand: Entscheidend sind stärkere Investitionen. Dazu brauchen wir einen Kurswechsel in der europäischen Politik, wie ihn Kanzler Christian Kern anzustoßen versucht.

STANDARD: Wie vielen Asylberechtigten gelingt es letztlich, in einem Job unterzukommen?

Stöger: Von 11.036 Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten, die im Vorjahr beim Arbeitsmarktservice registriert wurden, haben zwischen Anfang 2015 und Ende Oktober 2016 25 Prozent ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, das zumindest acht Tage gedauert hat. Über 80 Prozent dieser Beschäftigungen waren Arbeitsverhältnisse ohne öffentliche Förderungen.

STANDARD: Woran liegt es, dass das nicht mehr Leuten gelingt?

Stöger: Oft an fehlenden Qualifikationen und an der Sprache. Arbeit ist aber wichtig für die Integration, deshalb habe ich das Integrationsjahr vorgeschlagen, das neben Deutsch- und Orientierungskursen auch Kompetenzchecks, Arbeitsvorbereitungen und Bewerbungshilfen anbieten soll. Es zeugt aber von den großen Anstrengungen des Arbeitsmarktservice, dass seit 2010 rund 47.000 Asylberechtigte in Österreich eine Arbeit aufnehmen konnten.

STANDARD: Ein Kollege in Partei und Gewerkschaft, der Vorarlberger ÖGB-Chef Norbert Loacker, hält manche Ihrer Rezepte aber schlicht für weltfremd: Wer eine sechste Urlaubswoche und Arbeitskürzung bei vollem Lohnausgleich fordere, würde Betriebe vertreiben.

Stöger: Es wird immer jemanden geben, der etwas von mir kritisiert.

STANDARD: Aber ist die Warnung vor einer Abwanderungswelle der Unternehmen in wirtschaftlich schwieriger Zeit nicht plausibel?

Stöger: Nein, denn die Arbeitnehmer haben die Arbeitszeitverkürzung ja bereits erarbeitet, indem die Produktivität gestiegen ist. Von meinen Besuchen in Betrieben weiß ich außerdem: Moderne Unternehmer rühmen sich dafür, ihren Mitarbeitern die besten Arbeitszeitbedingungen zu bieten, weil dies die Kreativität stärkt. Auf der anderen Seite bin ich offen für flexiblere Arbeitszeiten, etwa die geforderten Zwölf-Stunden-Arbeitstage, aber davon dürfen nicht nur einseitig die Unternehmen etwas haben.

STANDARD: Warum bringen Rot und Schwarz in dieser Frage dennoch partout keinen Kompromiss zustande?

Stöger: Weil die Sozialpartner einen Stellungskrieg führen. Darin ist so mancher Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter sehr geübt: Da wird auf abstrakter Ebene mit Worthülsen diskutiert – doch diese Hülsen passen in der Realität nirgends mehr. Die Sozialpartner müssen wieder ins Denken kommen.

STANDARD: Es kursiert die Ansicht, dass sich die SPÖ in sozialen Fragen mit der FPÖ leichter täte als mit der ÖVP. Glauben Sie das auch?

Stöger: Davon merke ich in meinem Heimatland, wo eine schwarz-blaue Regierung die Mindestsicherung für Familien stark beschnitten hat, nichts. Als Oberösterreicher bin ich da ein gebranntes Kind.

STANDARD: Halten Sie eine Koalition mit der FPÖ nach der nächsten Nationalratswahl für denkbar?

Stöger: Mit dieser Frage werden wir uns anhand des geplanten Kriterienkatalogs für künftige Koalitionen sehr genau auseinandersetzen. Ich persönlich sehe da große Schwierigkeiten. Mein Ziel ist, dass wir uns diese Frage nach der Wahl nicht stellen müssen.

STANDARD: Sie werden ja nicht ernsthaft von einer absoluten Mehrheit träumen.

Stöger: Nein, aber je stärker die SPÖ ist, desto mehr Alternativen wird sie haben. Deshalb diskutiere ich lieber über unsere Stärken, und da brauche ich mich als Sozialdemokrat nicht zu schämen.

STANDARD: Manche Sozialdemokraten übernehmen in der Mindestsicherungsdebatte aber Positionen, die an die FPÖ erinnern. Da landen wir wieder bei Niessl, der die Leistungen für Asylberechtigte einschränken will. Ist das noch sozialdemokratisch?

Stöger: Für mich bedeutet sozialdemokratisch: Menschen abzusichern, die sonst kein Einkommen haben, und dabei alle gleichzubehandeln.

STANDARD: Sind Sie in den Verhandlungen nicht selbst von diesem Prinzip abgegangen, indem sie Ländern für eine Einigung sogar die Möglichkeit eingeräumt hätten, Flüchtlinge schlechterzustellen?

Stöger: Nein, ich habe immer klargestellt, dass eine Kürzung für mich persönlich nur dann zulässig ist, wenn die Bezieher unsere Bedingungen ignorieren. Die Spielregeln: Die Asylberechtigten müssen Deutsch lernen, sich integrieren und am Prinzip der Aufklärung orientieren.

STANDARD: Der neue Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, der Tiroler Günther Platter, will noch einmal für eine Einigung "sondieren". Hat das noch Sinn?

Stöger: Ja. Wenn Landeshauptmann Platter ein Modell verhandelt, das zumindest sieben Bundesländer unterschreiben, unterstütze ich ihn gerne.

STANDARD: Was ist am Fleckerlteppich unterschiedlicher Leistungen in den Ländern so schlimm, wenn Sie, wie Sie sagten, eh keinen Sozialtourismus erwarten?

Stöger: Weil so viele unterschiedliche Regeln in einem kleinen Land ungerecht sind und verwirren: Das betrifft Bezieher ebenso wie Beratungseinrichtungen.

STANDARD: Dieser Tage wird der Extrahunderter für Pensionisten ausgezahlt. Wo ist da der Unterschied zum vielkritisierten "Populismus" Jörg Haiders, der einst selbst pauschal Geld verteilt hat?

Stöger: Wir verteilen keine Almosen, sondern haben einen einmaligen Teuerungsausgleich zusätzlich zur linearen Pensionserhöhung von 0,8 Prozent beschlossen, auf den die Menschen einen Rechtsanspruch haben.

STANDARD: Dennoch wird undifferenziert Geld verteilt, egal, ob es jemand wirklich braucht oder nicht. Sieht so gezielte Sozialpolitik aus?

Stöger: Der Hunderter ist für jene, die niedrige Einkommen haben, verhältnismäßig mehr wert, hilft also jenen mehr, die wenig haben. Ich bin sehr für Umverteilung, aber nicht zwischen Maier und Müller. Damit müssen wir bei Ungerechtigkeiten zwischen Arbeitseinkommen und Finanzkapital anfangen, aber nicht bei Pensionisten, die ohnehin relativ niedrige Einkommen haben. Ich erinnere daran, dass die Medianpension nur 1100 Euro im Monat beträgt.

STANDARD: Haben Sie gute Vorsätze für das neue Jahr?

Stöger: Politisch: Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze. Persönlich: dranbleiben und Nerven bewahren. (Gerald John, 1.1.2017)