Sergej Karjakin am Brett gegen Magnus Carlsen.

Foto: qatarchess2016.com/maria emelianova

Der Weltmeister im lockeren Shirt.

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Doha – Zu Beginn des zweiten Tages sieht es alles andere als schlecht für den Weltmeister aus: Gemeinsam mit Sergej Karjakin liegt Magnus Carlsen eineinhalb Punkte vor dem Rest des Feldes. Mit noch neun zu spielenden Runden am zweiten und finalen Turniertag zwar kein Ruhekissen, aber doch eine exzellente Ausgangsposition.

Da Karjakin das direkte Duell mit Carlsen am ersten Tag für sich entschieden hat, können die beiden Führenden an Tag zwei nicht mehr gegeneinander gelost werden. Sie liefern sich stattdessen Runde für Runde ein Fernduell um die Führung, in dem Carlsen die Nase bald ein gutes Stück vorne hat.

Schneller Nakamura

Nach Runde drei des zweiten Spieltages, der insgesamt fünfzehnten dieses Blitz-Marathons, hat Carlsen mit zwölf Punkten einen vollen Punkt zwischen sich und seinen Verfolger Karjakin gelegt. Der Russe muss in Runde fünfzehn nämlich seine allererste, höchst unglückliche Niederlage gegen den US-Amerikaner Hikaru Nakamura hinnehmen: Nakamura, der als rasantester Blitzer der Welt gilt und in Zeitnot tatsächlich schneller als sein Schatten zu ziehen scheint, trickst Karjakin in völlig verlorener Stellung per Springergabel aus.

In Runde sechzehn scheint das Schicksal dann allerdings Magnus Carlsen auf die Probe stellen zu wollen: Sein Gegner heißt ausgerechnte Wasyl Iwantschuk. Der Ukrainer, der sich zwei Tage zuvor zum neuen Schnellschach-Weltmeister gekürt hatte, hat an Tag eins des Blitzturniers eher unauffällig gespielt, sich dann aber Schritt für Schritt bis ans Spitzenbrett vorgearbeitet.

Und Carlsen-Fans schwant in diesem Moment Übles. Waren die Niederlagen des Norwegers gegen seinen fast doppelt so alten Gegner doch sowohl bei der erst zwei Tage zurückliegenden Schnellschach-WM als auch bei der Blitz-WM 2015 in Berlin hauptverantwortlich für das Scheitern der jeweiligen Carlsenschen Titelambitionen.

Die zweite Null

Aus Sicht des Norwegers und seiner Fans nimmt das Drama ein weiteres Mal seinen Lauf. Iwantschuk, mit den schwarzen Steinen spielend, scheint ausgangs einer Sizilianischen Verteidigung zunächst kritisch zu stehen, befreit sich aber mit exzellentem Positionsschach Zug um Zug. Schließlich gelingt ihm die Überleitung in ein Endspiel mit Mehrbauer, das der Weltmeister nicht mehr verteidigen kann: Carlsen muss seine zweite Null im Turnier anschreiben, Karjakin zieht mit einem Schwarzsieg über Mamedjarow mit dem Norweger gleich, alles ist wieder offen.

Bis Carlsen in Runde achtzehn mit viel Glück und einigem Geschick gegen den Georgier Baadur Jobava den Kopf aus der Schlinge zieht und ein absolut verlorenes Endspiel innerhalb weniger Züge in einen Sieg dreht. Da Karjakin parallel gegen Korobow nicht über ein Remis hinauskommt, kann sich der Weltmeister damit abermals um einen halben Punkt absetzen.

Kriterium Zweitwertung

Aber wie schon beim Schnellschach droht Carlsen Ungemach in Gestalt seiner Zweitwertung: Karjakin liegt beim Eloschnitt seiner Gegner voran, bei Punktegleichheit platziert sich der Russe somit automatisch vor dem Norweger. Und alle Versuche Carlsens, sich weiter von Karjakin abzusetzen, werden vom Russen gekontert: Leichthändig schlägt der Weltmeister Wladimir Onischuk und den müde wirkenden Ex-Weltmeister Vishwanathan Anand – Karjakin hält sich inzwischen an Radoslaw Wojtaszek und Peter Leko schadlos und bleibt damit bis zur letzten Runde an Carlsen dran.

Solider Leko

Vor der Schlussrunde braucht Carlsen damit einen Sieg, um aus eigener Kraft Blitzschachweltmeister zu werden. Und er hat leichtes Auslosungspech: Die letzte Partie muss er mit den schwarzen Steinen gegen den Ungarn Peter Leko bestreiten, der für seine remislastige Partieanlage bekannt ist.

Seinem Stil treu verzichtet Carlsen auf eine allzu scharfe Verteidigung und hofft, Leko aus symmetrischer Stellung heraus überspielen zu können. Aber an diesem Tag geht die norwegische Rechnung nicht auf. Für Carlsen reicht es nur zum Remis, Karjakin bestraft hingegen Jobavas Eröffnungsexperiment in der Russischen Verteidigung, punktet voll und kürt sich dank besserer Zweitwertung zum Blitzschachweltmeister. Dritter hinter Carlsen wird überraschend der erst zwanzigjährige russische Nachwuchsstar Daniil Dubow.

Musytschuks Double

Im Interview danach spricht Karjakin von einer gewissen Genugtuung im Hinblick auf den im Tiebreak verlorenen WM-Kampf in New York. Immerhin im Blitzschach hat er dem Weltmeister damit – auch im direkten Duell – ein Schnippchen geschlagen

Bei den Damen gelingt Anna Musytschuk das Double: Nach ihrem ungefährdeten Sieg im Schnellschach-Bewerb kürt sich die Ukrainerin mit einem Schwarzsieg in der letzten Runde nun auch noch zur Blitzschachweltmeisterin.

Wijk aan Zee

Die nächste Runde des Duells Carlsen und Karjakin findet bereits von 13. bis 29. Januar im holländischen Wijk aan Zee statt. Dort kreuzen die beiden im A-Turnier nicht nur miteinander, sondern auch mit großen Teilen der Welt-Elite die Klingen.

Ein auch für österreichische Schachfans besonders interessantes Turnier: Großmeister Markus Ragger tritt in Wijk heuer erstmals in der B-Gruppe an, deren Sieger sich automatisch für das A-Turnier des Folgejahres qualifiziert. (Anatol Vitouch, 30.12.2016)