Ernsthaft um Energie, Esprit und Tiefgang bemüht – der venezolanische Dirigent Gustavo Dudamel im Wiener Musikverein bei seinem ersten Neujahrskonzert.

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Wien – Da es einst so erfrischend wirkte, ist bei Gustavo Dudamel immer noch an "sein" Simón Bolívar Symphony Orchestra zu denken. Dieses von Dudamel dirigierte Kollektiv begabter Musiker und Musikerinnen verstand (und versteht wohl noch immer) einiges von Show. Es wurde da im symphonischen Ambiente auch getanzt, es gab regelrecht Einlagen in der Art eines echten instrumentalen Theaters. Und mitten in diesem lebensfrohen Orchesterhit aus Venezuela strahlte und gestikulierte sich Dudamel – als entfesselter Wuschelkopf – Richtung schnelle Weltkarriere.

Dass sein Aufstieg nicht zu Unrecht erfolgte, leitet Dudamel, mit 35 der jüngste Dirigent des Walzervormittags, auch aus der Einladung der Wiener Philharmoniker zum Neujahrskonzert ab. Aber das "leichte" Repertoire ist auch für ihn harte Arbeit. Dudamels Unbeschwertheit (mit dem Bolívar-Orchester) wirkt jedenfalls eher absent, es scheint an so einem Vormittag reichlich Druck auf dem jungen Maestro zu lasten.

Das neue Jahr im Goldenen Saal: Hereinspaziert!
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Im Goldenen Saal des Musikvereins geht er jedenfalls oft schnell nach vollendetem Walzer und durchgepeitschter Polka ab und empfängt Applaus mit einem Hauch von ernster, fast entschuldigender Zurückhaltung. Hier nimmt einer die Strauß-Angelegenheit sicher nicht auf die unbeschwerte Schulter.

Mitunter recht laut

Wobei das letztlich Äußerlichkeiten sind: Dudamels Interpretationen ist keinerlei Verkrampfung anzumerken – eher etwas viel Dynamik. In den Applaus hinein startet er mit Lehárs Nechledil-Marsch, und bei den kollektiven Klangzusammenballungen scheint der Blumenschmuck regelrecht zu erzittern. Ja, Dudamel setzt mitunter allzu forsche Rufzeichen. Auch Franz von Suppés Ouvertüre zur Operette Pique Dame wird später davon lärmend Zeugnis ablegen – wie auch Ziehrers Walzer Hereinspaziert!

Es wird allerdings langsam subtiler, und in Summe offenbaren sich reichlich Qualitäten: Strauß' Winterlust-Polka präsentieren die Philharmoniker herzhaft-vital und eben auch mit delikater Eleganz der Details. Auch die Polka So ängstlich sind wir nicht!: Deren rhythmisch drängender Charakter wird fein akzentuiert umgesetzt, wie auch Strauß' Pepita-Polka zum Beleg wird, dass Dudamel die Balance zwischen interpretatorischem Sektkorkenknallen und der Erweckung sanfter Linien finden kann. Tendenziell gelingt ihm Heiteres und rhythmisch Drängendes am überzeugendsten, Strauß' Extravaganten-Walzer jedenfalls tönt etwas bieder. Es scheint Dudamel dabei zwar die singende Legatophrasierung zu fördern. Aber im Melancholischen wäre durchaus mehr Tiefgang möglich gewesen. Vor allem der Klang der Philharmoniker – Georges Prêtre zeigte dies einst eindringlich – vermag eine flehende Ambivalenz ausstrahlen, die zum wehmütigen Wesen der Musik gehört. Das fehlte hier lange.

Innehalten und Beschleunigen, auch in den süßen Sphären
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Als hätte ein Neujahrskonzert jedoch so etwas wie einen pädagogischen, Qualität hebenden Schnelleffekt, kam schließlich der Strauß-Walzer Tausend und eine Nacht und mit ihm jene Geschmeidigkeit, jener Wechsel von Innehalten und Beschleunigen, der dieses Repertoire so speziell macht. Da wirkte nichts buchstabiert, vielmehr als ganz selbstverständlicher Teil von Dudamels Sprache. Und auch beim Donauwalzer entschwebten die Philharmoniker melodisch gewissermaßen in jene süßen Sphären, in die zumeist nur sie vordringen.

2018 mit Muti

In Summe also ein sehr respektables Neujahrskonzert eines Neulings, der spaßeshalber eine Pfeife betätigte, ansonsten aber auf Scherze eher verzichtete, was auch Ex-Präsident Heinz Fischer bemerkt haben dürfte. Die Philharmoniker hatten ihn unlängst mit dem Titel "Patron" bedacht. Keine Ahnung, ob auch für Riccardo Muti ein Ehrentitel erfunden wird. Sicher ist: Muti wird das Neujahrskonzert 2018 dirigieren, und Sony veröffentlicht am 9. Jänner die CD und am 27. Jänner die DVD/Blu-Ray zum heutigen Event.

Der Singverein hatte übrigens bei Otto Nicolais idyllischem Mondaufgang seinen Auftritt – also bei einer Erinnerung daran, dass Nicolai vor 175 Jahren die Philharmoniker gegründet hat. (Ljubisa Tosic, 1.1.2017)