Das kopernikanische Weltbild im Atlas "Harmonica Macrocosmica" von 1708. Im Zentrum: die Sonne.

Foto: PD/Weidenfield & Nicholson

Bei den "Irrtümern der Wissenschaft" können einem viele Dinge in den Sinn kommen. Der Äther. Das Phlogiston. Die Vier-Säfte-Lehre der Medizin oder das Bohrsche Atommodell der Physik. Aber der Heliozentrismus wird vermutlich nicht zu den ersten Begriffen gehören, die einem bei diesem Thema einfallen.

Der wissenschaftliche Irrtum müsste doch vielmehr das sein, was durch den Heliozentrismus ersetzt wurde: nämlich die Vorstellung, dass sich die Erde unbewegt im Zentrum des Universums befindet. Als im 16. Jahrhundert Nikolaus Kopernikus' Theorie des heliozentrischen Universums veröffentlicht wurde und man feststellte, dass nicht die Sonne um die Erde kreist, sondern die Erde um die Sonne, war das doch eine enorme wissenschaftliche Revolution und ein bedeutender Fortschritt im Verständnis unserer Welt? Richtig – aber eben auch ein wissenschaftlicher Irrtum.

Sonne im Zentrum

In Kopernikus' berühmtem Buch "De revolutionibus orbium coelestium" findet man Diagramme des Sonnensystems, die dem heutigen Bild sehr ähnlich sind. In der Mitte steht die Sonne, und um sie herum und ineinander verschachtelt sind die kreisförmigen Bahnen der bekannten Planeten abgebildet. Ganz außen findet man aber auch einen Kreis, der mit "Unbewegliche Sphäre der Fixsterne" beschriftet ist.

Kopernikus hatte zwar die Erde aus dem Zentrum verbannt und durch die Sonne ersetzt. Aber es war eben immer noch das Zentrum des Universums, in dem sie sich nun befand. Ein Universum noch dazu, das nur aus Sonne, Mond und sechs Planeten bestand und von einer Sphäre aus Sternen eingehüllt wurde, über deren Natur auch Kopernikus nicht mehr wusste als seine Vorgänger.

Hartnäckige Annahme

Ein erster Irrtum von Kopernikus wurde vergleichsweise schnell korrigiert: Anfang des 17. Jahrhunderts stellte Johannes Kepler fest, dass sich die Planeten nicht auf Kreisbahnen um die Sonne bewegen, sondern elliptischen Orbits folgen. Bis aber auch der zweite Irrtum des Heliozentrismus erkannt und die Frage nach dem Zentrum des Universums gelöst wurde, hat es ein wenig länger gedauert.

In den folgenden Jahrhunderten verstand man die wahre Natur der Sterne (halbwegs) richtig und wusste auch, dass sie alle sehr weit (und unterschiedlich weit) entfernt waren. Zwei relevante Fragen blieben aber noch: Befindet sich die Sonne im Zentrum der großen Ansammlung von Sternen, die man "Milchstraße" nannte, und ist die Milchstraße alles, was es im Universum gibt, oder ist da noch mehr?

Man hatte schon im 18. Jahrhundert viele "Nebel" zwischen den Sternen entdeckt. Ein Teil der Wissenschafter hielt diese Objekte für "Wolken", die sich zwischen den Sternen der Milchstraße befinden, ein anderer Teil dachte aber, dass es sich um noch viel weiter entfernte Ansammlungen von Sternen handelt; andere "Milchstraßen" also, zwischen denen gigantische Leerräume liegen würden.

Streit um die Milchstraße

Beide Fragen wurden erst in den 1920er-Jahren beantwortet, und der Streit um die Antworten fand seinen Höhepunkt in der Shapley-Curtis-Debatte (auch "Die große Debatte" genannt), einer öffentlichen Diskussion zwischen den Astronomen Harlow Shapley und Heber Curtis im April 1920 in Washington.

Shapley dachte, dass die Sonne sich nicht im Zentrum der Milchstraße befand, die Milchstraße dafür aber so groß war, dass sie das gesamte Universum ausmachte. Curtis dagegen hielt die Milchstraße nur für eine "Sterneninsel" von vielen, war aber der Meinung, dass sich die Sonne in ihrem Zentrum befinden müsste. Eine Lösung des Streits kam erst durch neue und bessere Beobachtungsdaten.

Entfernungsmessungen der Sterne zeigten, dass die Sonne sich nicht im Zentrum befindet, und im Jahr 1923 gelang es Edwin Hubble, die Distanz zu einem dieser ominösen "Nebel" zu bestimmen. Er fand heraus, dass der Andromedanebel weit außerhalb der Milchstraße liegen muss und daher selbst nur eine eigenständige Galaxie aus Milliarden von Sternen sein kann.

Das Zentrum gibt es nicht

Durch diese Erkenntnisse wurde die Sonne also gleich zweimal von einem bevorzugten Platz verdrängt. Weder war sie das Zentrum der Milchstraße, noch war die Milchstraße das Zentrum beziehungsweise die Gesamtheit des Universums. Der Stern, den unser Planet umkreist, ist nur einer von vielen hundert Milliarden in einer Galaxie – und noch dazu einer, der sich weit entfernt in den äußeren Regionen dieser Sternenansammlung befindet. Und auch unsere Milchstraße ist nur eine von vielen hundert Milliarden, die sich über den gesamten Kosmos verteilen.

Dank weiterer kosmologischer Entdeckungen und der Etablierung des Urknall-Modells wissen wir heute immerhin, dass die Frage nach einem Zentrum des Universums keinen Sinn macht. In einem expandierendem Kosmos bewegt sich alles von allem fort, es gibt keinen "Mittelpunkt" und keinen bevorzugten Ort.

Egal, wo im Universum man sich befindet, im Prinzip sieht es überall gleich aus, und überall herrschen die gleichen Bedingungen (zumindest auf ausreichend großen Skalen). Dieser Grundsatz wird heute das "Kopernikanische Prinzip" genannt. Ein klein wenig ironisch, wenn man bedenkt, dass der Kosmos des Kopernikus weit entfernt davon war, das nach ihm benannte Prinzip zu erfüllen. (Florian Freistetter, 3.1.2017)