Dreamteam an der Spitze der Salzburger Festspiele: Intendant Markus Hinterhäuser und Präsidentin Helga Rabl-Stadler verstehen sich auch abseits des Scheinwerferlichts – eine wichtige Voraussetzung für ihre weltumspannende Promotion-Roadshow.

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London/Salzburg – München, Berlin, Paris, Zürich, Moskau, Seoul, London, New York, zwischendurch ein bisschen weihnachtliche Ruhe, ehe es weitergeht nach Südamerika, Asien, Japan: Die Strapazen dieser weltumspannenden Roadshow schafft nur, wer entweder sehr diszipliniert ist oder sich auch privat versteht. Bei Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser trifft beides zu. Sie geben auf dieser Festspiel-Promotiontour ein ideales Paar, Plänkeleien und freundschaftliche Sticheleien vorm Auftritt inklusive.

Viele betuchte Silberrücken und in Ehren erblondete Damen aus der Londoner Upperclass sind der Einladung des österreichischen Botschafters Martin Eichtinger in die noble Residenz am Belgrave Square gefolgt, um das neue Dreamteam der Salzburger Festspiele persönlich kennenzulernen.

Die Präsidentin füttert als enthusiastische Moderatorin das Publikum mit beeindruckenden Zahlen – 222.500 Karten für 195 Vorstellungen! –, ehe sie Wort und Bühne dem Intendanten überlässt, der eloquent die Werbetrommel für die künstlerischen Programmhöhepunkte rührt.

STANDARD: Kann man auf so einer Roadshow tatsächlich Freunde, Förderer, Publikum akquirieren?

Rabl-Stadler: Ich bin fest davon überzeugt, sonst würde ich mir das nicht antun – abgesehen davon, dass es mir diesmal besonders leichtfällt, weil ich tausendprozentig von unserem Programm überzeugt bin! Ich schätze unsere deutschen und Schweizer Nachbarn, aber immer nur in diesen Gewässern zu fischen ist zu wenig. Jetzt haben wir Gäste aus mehr als achtzig Ländern, davon 35 aus außereuropäischen Staaten. 2011 gab es 425 Kartenbestellungen aus Seoul, voriges Jahr waren es bereits 1.400.

Hinterhäuser: Ich bin überzeugt, dass das Programm ausdrucksstark ist und etwas erzählen kann. Deshalb können auch wir etwas erzählen. Wenn man Festspiele macht, lädt man Menschen zu sich ein. Das eine oder andere Mal kommen wir jetzt zu ihnen. Diese freundschaftlichen Gesten schaffen auch eine Form von Identität mit dem, was wir vorhaben und an Unterstützung brauchen, um es zu realisieren. Man muss in diesen vielen Monaten zwischen zwei Festspielen schon sehr viel an Aktivität erbringen, um so einen Sommer auch atmosphärisch richtig zu gestalten.

Rabl-Stadler: Wir dürfen nicht aus den Köpfen, Ohren und Seelen unseres Publikums verschwinden.

STANDARD: Im Programmheft zitieren Sie Max Reinhardt: "Das beste Programm verlangt nach dem besten Publikum." Ist das zahlungskräftige Publikum tatsächlich das beste?

Rabl-Stadler: Das ist wieder eine typisch wienerische Bosheit (lacht). Wir bieten mehr als 200.000 Karten an, die Hälfte davon kostet zwischen fünf und 105 Euro. Mit der Frage, ob die Festspiele nicht zu elitär sind, müssen sie seit ihrer Gründung fertigwerden. Ich schätze Friedrich Sieburgs Definition von elitär: Elite kommt von Leistung, Prominenz von Applaus. Also ja, Festspiele dürfen elitär sein im Anspruch, Besonderes im Künstlerischen zu leisten. Allerdings verwechselt man heute Elite oft mit Establishment. Und das wollen und dürfen wir nicht sein.

Hinterhäuser: Ich bin nicht Türsteher, sondern Intendant der Salzburger Festspiele. Wir bieten ja nicht nur Veranstaltungen an, von denen wir sicher sein können, dass sie ankommen. Wesentliche Momente bedürfen auch einer gewissen Zuneigung des Publikums. Es ist ein ganz großer Fehler, ein Publikum einer kritischen Bewertung zu unterziehen. Jeder hat die Möglichkeit, zu kommen, zu sehen, zu hören und dieses Erlebte für sich bereichernd zu gestalten.

STANDARD: "Macht" zieht sich als roter Faden durch Ihr Programm. Ist Kunst ein Vehikel, um Macht zu kontrollieren?

Hinterhäuser: Nicht zu kontrollieren, aber zu thematisieren. Große Kunstwerke durchleuchten die Strategien, die Grausamkeiten der Macht, Aufstieg und Fall der Mächtigen. Dies war in jeder Sekunde der Menschheit gleich, im alten Rom, zu Shakespeares Zeiten oder heute in Aleppo.

Rabl-Stadler: Ich sehe Macht erst durch ihre Nutzung positiv oder negativ. Macht ist die einzige Möglichkeit, um gestalten zu können. Wer etwas positiv bewirken will, braucht Gestaltungsmacht. Wir reden hier aber von Missbrauch oder den Gefahren, die Macht in sich birgt.

Hinterhäuser: Nicht nur. Wir eröffnen sehr bewusst mit Mozarts "La clemenza di Tito": Diese Oper erzählt alles über politische Strategien und die Strategien der Macht, aber auch über etwas, was so ungeheuerlich ist in der Politik, nämlich das Vergeben, über den außerordentlich klugen und verzeihenden Gebrauch von Macht.

STANDARD: Einige Regisseure, wie der südafrikanische Künstler William Kentridge, Regisseur von "Wozzeck", sind erstmals in Salzburg; einige, wie die US-iranische Künstlerin Shirin Neshat, die "Aida", und die griechische Filmregisseurin Athina Rachel Tsangari, die "Lulu" machen wird, arbeiten zudem erstmals für die Bühne. Was, wenn Riccardo Muti und Neshat künstlerisch nicht auf einer Ebene agieren?

Hinterhäuser: Natürlich rufe ich Muti nicht an und sage: Ich hab' da eine Regisseurin, friss oder stirb. Das ist ein langer Prozess des Zusammenfindens. Ich kenne und schätze Neshat seit vielen Jahren und habe mir immer gewünscht, einmal mit ihr zusammenzuarbeiten. In "Aida" wird genau das Thema bedacht, mit dem sich Neshat ihr gesamtes künstlerisches Leben beschäftigt. Kann uns jemand, der aus jener Weltgegend stammt, in der "Aida" spielt, diese Geschichte heute erzählen, ohne sie banal zu aktualisieren: Darum geht es. Das sind grundsätzlich Vorgänge mit offeneren Ergebniserwartungen. Dieses kalkulierte Risiko einzugehen, erachte ich für die Festspiele als essenziell. Es ist kein frivoles Spiel mit Künstlern, die man wie Aktien handelt. Ich werde auch nicht jedes Jahr mit bildenden Künstlern arbeiten, "nur" weil es bildende Künstler sind. In letzter Konsequenz geht es darum, wer der oder die Interessanteste sein könnte, um eine Geschichte zu erzählen.

Rabl-Stadler: Sie haben mit Ihrer Frage natürlich recht: Es ist ein besonderes Programm mit besonderen Konstellationen, die auch ein Risiko in sich bergen und das besondere Geschick des Intendanten erfordern. Eines der großen Talente von Markus ist es, Künstler zusammenzubringen. Jean Améry hat gesagt, Risiko sei die Bugwelle des Erfolgs. Gerade in einer Zeit mit grassierender Festivalitis und Eventkultur müssen wir das beherzigen.

Hinterhäuser: Wir leben in einer zunehmenden Vulgarisierung der Gesellschaft. Als wir in Paris waren, sahen wir als Erstes riesige Plakate mit der Ankündigung, "Aida" werde im Stade de France aufgeführt. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, das vollkommene Gegenmodell in Salzburg machen zu können!

STANDARD: Salzburg, schreiben Sie im Programmheft, solle das "Epizentrum des Besonderen" sein. Das ist poetisch – aber nicht auch ein wenig anmaßend?

Hinterhäuser: Manchmal rutscht einem so etwas heraus und wird einem vorgehalten, wenn es gut gegangen ist, und erst recht, wenn es nicht gut gegangen ist. Wir müssen in den fünf Wochen etwas schaffen, bei dem man gar nicht anders kann, als das Gefühl zu entwickeln, dass man es erlebt, gehört, gesehen haben will. Es ist kein anmaßender Slogan, sondern eine ganz aufrichtig gemeinte Idealvorstellung. (Andrea Schurian, 5.1.2017)