Kanzler Christian Kern will am 11. Jänner seine Zukunftsvorstellungen präsentieren. Die Forderung an ihn: die Gesellschaft verändern und nicht nur "Dienstwagen und Regierungsposten bewahren".

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Mit Brexit, Donald Trumps Wahl und Matteo Renzis Niederlage war 2016 ein ausgesprochen turbulentes politisches Jahr. Allen diesen Entscheidungen war eines gemeinsam: der Ärger vieler Wählerinnen und Wähler über eine Politik, die wenig verspricht und noch weniger hält, die von Reform nur redet, wenn es ums Wegnehmen geht, und die nicht einmal selbst in Anspruch nimmt, die Gesellschaft gestalten zu können.

Bundeskanzler Christian Kern hat bei seiner Amtsübernahme einen Begriff in die politische Debatte eingebracht, der historisch für das genaue Gegenteil steht: den "New Deal". Mit ihm versprach Franklin D. Roosevelt 1932 nach der großen Krise von 1929, den Finanzsektor neu zu ordnen, die Macht der Superreichen zu brechen, die Gewerkschaften zu stärken, den Sozialstaat auszubauen und die Massenarbeitslosigkeit zu überwinden. Es war eine politisch und wirtschaftlich erfolgreiche, radikaldemokratische Alternative zum gleichzeitigen Versuch faschistischer Regierungen, die Krise durch Beseitigung von Demokratie und Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter zu lösen.

Natürlich leben wir heute nicht in den 1930er-Jahren. Aber fest steht, dass in der Gegenwart die politische Rechte in Europa die Themen und den Takt vorgibt: Statt über die Krise der Banken und des neoliberalen Kapitalismus reden wir über die Krise der Staatsfinanzen. Statt über die himmelschreienden Steuerprivilegien der Konzerne sprechen wir über die Kosten der Hilfe für Kriegsflüchtlinge. Statt über den Skandal stagnierender und sinkender Löhne debattieren wir über Kürzungen bei der Mindestsicherung. Die Sozialdemokratie hat europaweit mit dem "Dritten Weg" vergessen, für wen und wie sie Politik zu machen hat. Die Rechtspopulisten schlagen daraus nun Profit.

Vieles läuft falsch

Viele Menschen eint, bei allen Unterschieden, ein Gefühl: Es läuft vieles falsch, es muss sich (endlich) etwas ändern. Wenn wir dieses Gefühl nicht den Botschaftern des Hasses und der Spaltung überlassen wollen, dann müssen wir ein hoffnungsvolles Projekt der vielen starten. Ein Projekt, in dem Reformen Verbesserungen bringen. Ein Projekt, das die großen Übel unserer Gesellschaft anspricht und beseitigt.

Wir brauchen einen "New Deal", weil die Sozialdemokratie der Offensive der Rechten eine konkret verwirklichbare Vision einer besseren Gesellschaft gegenüberstellen muss. Wir brauchen einen "New Deal", weil die Sozialdemokratie bei sehr vielen Menschen politischen Kredit erst wieder verdienen muss. Wir brauchen einen "New Deal", weil wir endlich wieder in den Mittelpunkt rücken müssen, wie wir die Gesellschaft verändern, und nicht, wie wir Dienstwagen und Regierungsposten bewahren können.

Wir brauchen daher weder Treueschwüre gegenüber der ÖVP noch Anbiederung an die FPÖ. Für Menschen, deren Vertrauen wir verloren haben, macht es keinen Unterschied, an wen wir uns verkaufen. Wir müssen ihr Vertrauen dadurch gewinnen, dass wir nicht käuflich sind, wenn es um die Interessen der arbeitenden Menschen, der prekär beschäftigten Jungen und der Pensionistinnen und Pensionisten geht, dass wir kompromisslos sind, wenn unsere Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität infrage gestellt werden.

Ein "New Deal" muss ein Vertrag mit Österreichs Bürgerinnen und Bürgern werden, die großen Probleme unserer Gesellschaft anzugehen und Alternativen aufzuzeigen: die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit durch eine Ausweitung öffentlicher Investitionen und Beschäftigung; höhere Mindestlöhne, damit Leistung gerecht entgolten wird; verstärkter Kampf gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen; eine Beseitigung der Steuerprivilegien der Banken und Superreichen; eine Verkürzung der Arbeitszeit als Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung, aber auch zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Es ist Zeit, dass Gerechtigkeit wieder an die Stelle des Rechts des Stärkeren gesetzt wird. Es ist Zeit, der Unsicherheit in der Arbeitswelt entgegenzutreten. Der Kontrollverlust, den viele Menschen im eigenen Leben verspüren, ist keine Naturgewalt – er ist eine Folge politischer Entscheidungen. Ein "New Deal" muss Ungleichheit durch Gerechtigkeit, Respektlosigkeit durch Anerkennung, Unsicherheit durch Kontrollgewinn, abgehobene Eliten durch eine demokratische Revolution ersetzen.

Es braucht diese demokratische Revolution in unserer Partei, in den politischen Institutionen, in allen Lebensbereichen. Denn letztlich drehen sich alle angesprochenen Themenbereiche um eine Frage: Wer hat die Macht? Können Banken und Konzerne der Politik die Regeln diktieren? Oder ist Politik das Instrument der Menschen, die eigenen Lebensverhältnisse aktiv zu gestalten? Die Frage der Freihandelsabkommen dreht sich genau um diese Machtfrage. Das Volksbegehren "Gegen TTIP, Ceta und Tisa" ist eine Gelegenheit, die Debatte um wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse an die Stelle spalterischer Hetze zu setzen.

Vorbild Bernie Sanders

Auch wenn man immer noch Dinge besser machen soll. US-Senator Bernie Sanders und seine Kampagne für eine politische Revolution können uns ein Vorbild sein, wie authentische und grundsatzorientierte Politik zwar nicht die Millionen großer Geldgeber, aber Millionen von Anhängerinnen und Anhängern für eine andere Politik mobilisieren kann. Do it like Bernie! Zeit für einen echten "New Deal"! (Julia Herr, Max Lercher, Herbert Thumpser, Marina Hanke, Wolfgang Moitzi, Kilian Brandstätter, 5.1.2017)