Wien – Ihr Song Intro von 2009 dient nicht nur längst als rituelle Eröffnungsnummer von aus landauf und landab kommenden Indiedisco-Beschallern wie DJ Gabi oder DJ Vollhorst. Der melancholische und mollige Instrumentaltrack im gemütlichen Gleitzeit-Modus ist auch zu so etwas ähnlichem wie dem zeitgenössischen Pendant klassischer TV-Beitrags- oder Sportberichterstattungsmusiken geworden. Wer erinnert sich zum Beispiel nicht an den Schlagzeugmittelteil aus In A Gadda Da Vida von Iron Butterfly, an Chariots Of Fire von Vangelis oder Heast as net von Hubert von Goisern in der Karaokeversion sowie vor allem auch an Lucifer von The Alan Parsons Project? Okay, niemand unter 30 oder 40 erinnert sich daran, aber das gilt jetzt nicht.

The xx sind zurück. Man hört viele Mollakkorde. Das neue Album nennt sich "I See You". Der Engländer sagt: "Hell is in hello."
Foto: Laura Coulton

Bei Lucifer von Alan Parsons, dem ehemaligen Toningenieur der Beatles und Pink Floyds, handelt es sich übrigens um eine gesanglose Synthesizerpop-Nummer mit einem Morsecode, der "Eve" sagt: Punkt – Punkt, Punkt, Punkt, Strich – Punkt. Es ist also eine wortlose Liebeserklärung an die eine Frau, obwohl das Cover des gleichnamigen Albums von 1979 zwei durchaus ansprechende weibliche Wahlmöglichkeiten bietet, es sich allerdings eigentlich um ein Konzeptalbum zum Thema Adam und Eva und was danach schiefging handelt. Deshalb spielt ja auch der Teufel mit.

Je nun, man kann also sagen, dass das britische Trio The xx heute längst ziemlich durchdekliniert ist, obwohl es selbst gar nicht so viel zu sagen hat, außer vielleicht, dass das Leben oft nicht leicht ist, Liebe und Freundschaft aber Linderung verschaffen können, nein, könnten. Apropos Liebe, die eher körperbetonte Rihanna hat Intro 2011 für ihren eigenen Song Drunk On Love gesampelt und damit mit elf Millionen Youtube-Clicks im Gegensatz zum Original mit seinen 48 Millionen Zugriffen einen Achtungserfolg erzielt.

The xx

Stellen wir das fahle Licht im britischen Nebel, in dem die Frau in Weiß, der Hund von Baskerville, F-Dur und a-Moll, Robert Smith, The Cure und New Order lauern, nicht unter den Scheffel: The xx fanden bei für eine heutige "Indiepop"-Band erstaunlichen Verkaufszahlen ihres Debütalbums xx sowie des Nachfolgers Coexist von 2012 bald mit ihrem melancholischen, gleichzeitig unterkühlt in die frühen new-wavigen 1980er sowie auf heutigen R'n'B-Hochglanzmüll wie Beyoncé verweisenden Sound zu einem gewissen Alleinstellungsmerkmal – für eine nicht übertrieben abenteuerlustige Kundschaft.

Wo die – um eine halbe Ecke gedacht – durchaus vergleichbare Adele tagsüber Bekenntnis-Soul und Durchhalteschlager aus dem Reihenhaus in die Formatradios plärrt, stehen ihr The xx in den stilleren Stunden resignativ-murmelnd bei. Dann, wenn es am Tag schon spät geworden ist, man nicht nur nachdenklich, sondern auch ein wenig anlehnungsbedürftig wird und man gern auch einmal etwas Eingängiges hört, das aber trotzdem Niveau hat und einen nicht niederfährt, muss nicht immer ein Sting mit seiner Laute oder R.E.M. mit Everybody Hurts lauern. Konsens kann auch modern sein. Modern meint zeitlos schön, mit einem Zug ins Fade.

Vom Styling und Sound her sind The xx immer schon lebensschwer schwarz. Man lacht auch auf Fotos nie, immerhin schickt das Trio ja keine Geburtstagsgrüße an die Tante Gusti. Das Leben mag manchmal heiter sein, die Kunst heißt Onkel Ernst.

Rollkragenpullover-Pop

The xx wurden deshalb schon von Hedi Slimane eingekleidet und fanden sich auch auf einem der im Studio Karl Lagerfelds herumliegenden "iPods". Für jüngere Leser: Ein "iPod" war früher so eine Art Handy, mit dem man aber nicht telefonieren und snapchatten konnte, das Gerät aber trotzdem seine Berechtigung hatte, weil darauf Musik zu hören war.

Das alles war vor vier Jahren und einer Welttournee. Die Band machte Pause, Kreativkopf Jamie xx eine ziemlich erfolgreiche HausfrauInnen-Raveplatte namens – Achtung – In Colour.

Das dritte Album mit dem etwas unspannenden Titel I See You präsentiert die wiedervereinten The xx nun in unveränderter, allerdings etwas seichterer Form. Die von einer alten Seele kündende dunkle, rauchige, von Ahnungen getriebene und von Vorsicht gebremste Stimme der Sängerin und Gitarristin Romy Madley Croft singt düstere Duette mit Bassist Oliver Sim. Beide dämpfen die Saiten beim Spielen ab. Jamie XX spielt dazu eisiges, verhalltes Formatradio aus dem Klappcomputer. Rollkragenpullover-Songs wie Say Something Loving oder On Hold passen zur Jahreszeit. (Christian Schachinger, 5.1.2017)