Library 10: Eine Bibliothek mit 3-D-Drucker.

Foto: Lisa Breit

Eine Wohnzimmeratmosphäre mit Sitzsäcken soll Leserinnen und Leser in Helsinki zum Bibliotheksbesuch bewegen.

Foto: Library 10

... wer will kann aber auch an Tischen oder in den rikschaartigen Bürosesseln arbeiten.

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Die "urban offices", die man mieten kann.

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Fleckerlteppich, Sitzsack, Pianomusik, Fotos vom Sonnenuntergang: die erklärte Entspannungszone.

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Im Aufnahmestudio.

Foto: Library 10

In der Ecke liegt ein junger Mann auf einem dicken Fleckerlteppich, das Licht ist gedimmt, er wirkt, als würde er schlafen. Ein Beamer projiziert ein Aquarium an die Wand, aus Boxen erklingt Meditationsmusik. In Regalen stapeln sich CDs: Indie, Hip Hop, Jazz. Bach und Mozart. Weiter rechts hantiert ein junger Mann an einem 3-D-Drucker herum. "Ich will mir eine neue Schnalle für meinen Rucksack ausdrucken", sagt er. Dass man hier in einer Bibliothek ist, merkt man erst auf den zweiten Blick.

In die Library 10, eine von 36 Bibliotheken in Helsinki, kommen pro Tag etwa 2000 Besucher und Besucherinnen – nur ein Viertel davon, um Bücher zu entlehnen. Stattdessen bedrucken sie T-Shirts, benutzen die Nähmaschine oder die bibliothekseigenen Filmschnittprogramme. Auch Musikinstrumente kann man sich hier ausborgen, zum Aufzeichnen von Songs gibt es kleine Aufnahmestudios.

"Menschen erwarten sich heutzutage viel mehr von einer Bibliothek als nur Literatur", sagt Kari Lämsä, Leiter der Library 10. Er führt durch die Räumlichkeiten. "Sie sehen: Alles ist hier sichtbar, alles ist offen". Tatsächlich trennen die einzelnen Bereiche maximal Regale oder Lärmschutzwände. Neben dem Entspannungsbereich mit dem Teppich liegt Kinderspielzeug. Um einen Tisch herum sitzen Senioren. "Sie geben einander einmal pro Woche gegenseitig Computernachhilfe", sagt Lämsä. An einem Rechner mit Riesenbildschirm sind E-Books und elektronische Zeitungen downloadbar.

Bastler, E-Guides, Laptopdoktoren

Mit den Ansprüchen habe sich auch die Art des Service, den sich Besucher von einer Bibliothek erwarten verändert, sagt Lämsä. Mitarbeiter müssten sich längst nicht mehr nur mit den Buchklassikern und Neuerscheinungen auskennen – wichtig sind auch kreative Kenntnisse ebenso wie technische. "Sie sind 3-D-Bastler, E-Guides, Laptopdoktoren". Bibliotheken müssten anstatt einer Sammlung von Büchern eine Auswahl liefern.

Die Einrichtung der Library 10 wirkt leicht abgenützt, wie notdürftig zusammengestellt. Lämsä spricht von einer "Wohnzimmeratmosphäre". Einige Bibliotheksbesucher sitzen in roten Sesseln, die anmuten wie eine Kreuzung aus Bürostuhl und Rikscha. Dazwischen liegen massive Sitzsäcke. "Warum müssen Sessel in Bibliotheken unbedingt ungemütlich sein?" Wer möchte, könne aber auch an einem Tisch arbeiten, sagt der Bibliotheksleiter und zeigt auf eine Reihe Schreibtische. An einem davon isst eine junge Frau über ihrem Chemiebuch Kebab.

Zum Arbeiten gibt es zudem eine Art Co-Working-Space, Lämsä nennt ihn die "urban offices": Breite Tische, visuell abgetrennt durch mit großflächigen Stadtfotos beklebte Wände. Man kann sie für mehrere Stunden pro Tag reservieren, was besonders Studierenden und Freiberuflern zugutekomme.

Experimentieren für Zentralbibliothek

Dass Menschen Bibliotheken zunehmend als eine Art "dritten Raum" schätzen, der weder ihr Zuhause noch ihr Arbeitsplatz ist, stellt auch Wissenschafter Paul Sturges fest. Er forschte an der Loughborough University in Großbritannien zum Wandel von Bibliotheken. Diese würden – weltweit – immer stärker zu Orten der Geselligkeit, des Zusammentreffens, des Austausches.

In der Library 10 finden regelmäßig Workshops, Vorträge, Diskussionsabende und Konzerte statt. Vier von fünf Veranstaltungen organisierten die Kunden selbst, sagt Lämsä. Am Ende des Raumes markiert ein weißer Flügel die "Bühne". Darüber hängen Spotlights, die Wand zieren Gemälde in knalligen Farben. In der Mitte des Raumes steht ein DJ-Pult. Alle paar Wochen ist hier auch Disco.

Die Bibliothek ist eine Art Experimentierlabor für eine neue Zentralbibliothek in Helsinki, die 2018 fertiggestellt werden soll. Laut Plan wird sie mit einer Fläche von 10.000 Quadratmetern – mehr als zwölfmal die Fläche der Library 10 – Raum für 10.000 Besucher pro Tag bieten. Im Erdgeschoß soll es eine großzügige Lobby, Serviceschalter und Gastronomie geben, die darüberliegenden sind für Studios und Meeting- und Seminarräume reserviert – erst der dritte für Bücher. (Lisa Breit aus Helsinki, 6.1.2017)