Ob Hofburg-Kandidatin Irmgard Griss bei den Neos andockt, ist immer noch ungewiss – deswegen gibt sich Neos-Chef Matthias Strolz in der Angelegenheit nun völlig "schicksalergeben".

Foto: Andy Urban

Strolz zur anstehenden Wahlrechtsreform und dem rot-blauen Wunsch, die Briefwahl einzudämmen: "Das klingt stark nach Barney Geröllheimer, das erinnert an die Steinzeit und wäre völlig jenseitig."

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Wien – Zum Jahresauftakt fordert Neos-Chef Matthias Strolz im STANDARD-Gespräch eine intensive Betreuung für Asylwerber durch das Arbeitsmarktservice, konkret spricht er sich für eine Einzelfallbetreuung aus. "Bei den Tschetschenen, die einst zu uns gekommen sind, haben wir das ja völlig vergeigt", sagt er, "und wenn wir im selben Stil nun bei den Afghanen versagen, dann wird es düster im Land". Als ehemaliger Coach für arbeitslose Jugendliche will Strolz auch die Eckpfeiler der Demokratie wie etwa die Gleichstellung von Mann und Frau in den Wertekursen streng vermittelt wissen, denn: "Ich will nicht, dass meinen Töchtern eines Tages der Handschlag verweigert wird."

Den Wunsch der SPÖ bei der anstehenden Wahlrechtsreform, die Briefwahl einzudämmen, erteilt der Neos-Chef eine klare Absage: "Das klingt stark nach Barney Geröllheimer, das erinnert an die Steinzeit und wäre völlig jenseitig." Wohl aber will Strolz heuer mit allen Parteichefs über diverse Kooperationsvereinbarungen reden – und zwar auch mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. (red)

STANDARD: Im abgelaufenen Politjahr haben Sie fast so oft wie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nach Neuwahlen gerufen. Doch droht den Neos dabei nicht dasselbe Schicksal wie einst dem LIF, das meist um den Wiedereinzug in den Nationalrat zittern musste?

Strolz: Mir geht es dabei weniger um das Kalkül für die Neos, sondern vielmehr darum, dass für das Land und die Menschen endlich etwas weitergebracht wird. Denn diese Regierung bringt außer Streit ja kaum etwas zustande. In den Umfragen liegen wir stabil bei sieben Prozent. Damit sind wir neben den Blauen die einzige Kraft, die wächst – und beim nächsten Wahltag wollen wir zweistellig werden.

STANDARD: Bundespräsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, auf die Sie Ihre Hoffnungen als Zugkraft gesetzt haben, zieht sich aber vorerst zu Küchengesprächen mit Bürgern zurück. Enttäuscht darüber?

Strolz: Ein neuer Stil in der Politik tut immer gut – und ein ähnliches Format betreiben ja auch wir seit Jahren, anfangs hieß das "Neos-Tupper-Abend", bis uns der Tupperware-Konzern den Namen untersagt hat. Heute nennen wir das "Neos@home-Abend".

STANDARD: Ihre Gespräche mit Griss und Außenminister Sebastian Kurz für ein Antreten mit einer gemeinsamen Plattform sind gescheitert. Was, wenn sich die Ex-Präsidentin des Obersten Gerichtshofes doch noch für eine Kooperation mit Kurz als ÖVP-Spitzenkandidat entscheidet?

Strolz: Also, ich habe das so verstanden, dass Griss bei keiner anderen Partei andocken kann und wird. Denn ihr Asset und ihr höchstes Gut ist ja die Unabhängigkeit. Das heißt: Darüber hinaus ist noch offen, was sie konkret macht – und ich bin da sehr schicksalergeben. Was Kurz betrifft, geht es für ihn nicht ohne die verkrustete ÖVP – und das wiederum geht nicht für uns Neos.

STANDARD: Mit geschlagener Bundespräsidentenwahl wollen sich die Grünen umso mehr als Bollwerk gegen die FPÖ positionieren – und Sie?

Strolz: Wir definieren uns nicht über Dritte. Ich möchte in diesem Jahr nach norwegischem Vorbild mit allen Chefs der anderen Parteien ausloten, welche Kooperationsvereinbarungen wir schließen könnten, damit wir endlich besser vorankommen. Deswegen bin ich auch auf FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zugegangen, doch der reagierte bisher als Einziger abweisend, obwohl er sich als ewig ausgegrenzter Mensch ja darüber sehr freuen müsste.

STANDARD: Blau-Schwarz-Pink ist für Sie als Koalition aber keinerlei Option?

Strolz: Jedenfalls keine, die ich anstreben würde, denn beim Thema Europa und dem Menschenbild der FPÖ wird es schwierig. Aber eine Gesprächsverweigerung werde ich sicher nicht betreiben, sondern mit dem Aufruf zur Konstruktivität den Druck erhöhen.

STANDARD: Anders als die Freiheitlichen fahren Sie stets einen kompromisslosen Pro-EU-Kurs. Aber machen Sie als Teil der Opposition die Regierung nicht allzu oft auch für Tatsachen verantwortlich, für die die gesamte Union – Stichwort Flüchtlinge – bisher keine Lösungen zustande gebracht hat?

Strolz: Natürlich können Rot und Schwarz etwas für die schleppende Entwicklung. Schon unter Kanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel sind die Regierungsmitglieder stets von europäischen Räten nach Hause gekommen, um stolz zu verkünden, dass sie eine gemeinsame Asylpolitik verhindert haben – und auch Kurz stellt sich in diese Tradition. Wo macht er sich etwa für Rückführungsabkommen für abgelehnte Asylwerber stark? Er müsste hierfür längst eine Koalition in der EU gebildet haben.

STANDARD: Wie der Anschlag von Berlin gezeigt hat, schafft es bis dato aber doch nicht einmal das EU-Schwergewicht Deutschland, abgelehnte Asylwerber nach Nordafrika zurückzuschicken.

Strolz: Die Regierung von Angela Merkel ist hier für mich auch nicht das große Vorbild, denn die zeigt selbst grobes Missmanagement. Einerseits kontrollieren die Deutschen derzeit am Walserberg und in Kufstein den Grenzverkehr, sodass stundenlange Staus entstehen, nicht aber die Schleichwege abseits davon. Wenn Merkel und Kanzler und SPÖ-Chef Christian Kern wirklich wollten, könnten nächste Woche 30.000 Männer und Frauen an der EU-Außengrenze stehen, um wirklich alle Asylwerber zu registrieren und dafür zu sorgen, dass diese wie in der Schweiz binnen 180 Tagen einen positiven oder negativen Bescheid kriegen.

STANDARD: Sie selbst waren einst Coach für arbeitslose Jugendliche. Wie soll die Nation Flüchtlinge am besten in den Arbeitsmarkt integrieren?

Strolz: Aus meiner Sicht braucht es eine hochgradig individualisierte Betreuung, ja ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass es das Verhältnis eins zu eins zwischen Asylwerbern und Betreuern geben sollte.

STANDARD: Wie stellen Sie sich das vor: für jeden Asylwerber einen vom Staat zur Verfügung gestellten Buddy?

Strolz: Die Regierung sollte das Arbeitsmarktservice endlich damit beauftragen, binnen zwei Monaten von jedem Asylwerber einen Befund zu erstellen, welche Fertigkeiten er hat – und unter Mithilfe der NGOs sollten sich die Menschen weitere Skills erwerben und nach sechs Monaten auch arbeiten können. Sonst bezahlen wir das ein Leben lang. Bei den Tschetschenen, die einst zu uns gekommen sind, haben wir das ja völlig vergeigt – und wenn wir im selben Stil nun bei den Afghanen versagen, dann wird es düster im Land. Außerdem bin ich dafür, dass sich Österreich in Europa jetzt schon für ein Rückführungsprogramm starkmacht, das angegangen wird, sobald in Syrien Frieden herrscht. Denn die Menschen werden die hier erlernten Fähigkeiten eines Tages für den Wiederaufbau brauchen. Außerdem gehe ich davon aus, dass viele Syrer und Afghanen in Österreich nicht glücklich werden.

STANDARD: Wieso? Wegen unserer Werte?

Strolz: Ja, auch deswegen. Darum müsste längst ein eigener Integrationsbeauftragter der Koalition dafür sorgen, dass die Wertekurse weiter aufgestockt werden, um den Menschen die Eckpfeiler der Demokratie zu übermitteln, also die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit und die Gleichheit von Mann und Frau. Denn ich will nicht, dass meinen Töchtern eines Tages der Handschlag verweigert wird. In der Arbeit mit Jugendlichen habe ich ja gesehen, dass die jungen Männer oft damit prahlen, wie viele Frauengeschichten sie schon gehabt haben. Aber den anwesenden Mädchen erklärten sie gleichzeitig, dass sie nur eine Jungfrau heiraten werden. Da kommt mir das Kotzen.

STANDARD: Der extrem religionskritische Kurs von Ihrem Ex-Religionssprecher Niko Alm, den Sie einst abgelöst haben, könnte genau diese Paradoxien doch jetzt gut vermitteln, nicht?

Strolz: Niko Alm und ich sind uns da ja auch immer noch einig, dass es deswegen ein Schulfach "Ethik und Religionen" braucht, das Werte und Hintergründe aller Religionen vermittelt. Ja, Alm hat hier halt einen radikalen Schuhlöffel in die Hand genommen, aber ich kann der katholischen Kirche, siehe etwa Seelsorge oder Flüchtlingshilfe, eben auch viel Positives abgewinnen.

STANDARD: Im Parlament steht demnächst eine Wahlrechtsreform an. SPÖ-Klubchef Andreas Schieder würde gern die Briefwahl eindämmen und dafür einen zweiten Wahltag einführen. Für die Neos akzeptabel – oder völlig daneben?

Strolz: Also, die Briefwahl einzudämmen, das klingt stark nach Barney Geröllheimer, das erinnert an die Steinzeit und wäre völlig jenseitig. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung. Ein zweiter Wahltag wäre freilich eine Möglichkeit, ebenso wie die Einführung von E-Voting wie in Estland.

STANDARD: Sie sind außerdem ein erbitterter Gegner der Erhöhung der Parteienförderung, die bald beschlossen werden soll. Aber die 8,3 Millionen für die Neos heuer nehmen Sie schon an?

Strolz: Die Reallöhne der Menschen sinken, und da versteht kein Mensch, dass die Parteien wieder mehr bekommen. Neos hat sich eigene Unternehmen und Vereine verboten, mit denen die alteingesessenen Parteien allerhand unanständige Umwegfinanzierungen veranstalten. Und wir verzichten als einzige politische Kraft in Wien auf die neu eingeführte Akademieförderung. Das sind rund 170.000 Euro pro Jahr, die wir den Steuerzahlern zurückgeben.

STANDARD: Wann legt nun Ihr Abgeordneter Christoph Vavrik, der mit homofeindlichen Kommentaren zur Adoption aufgefallen ist, konkret sein Mandat zurück?

Strolz: Wir haben vereinbart, dass er bis Ende des ersten Quartals sein Mandat übergibt. Eine saubere Übergabe ist uns wichtig – und auch, dass er bis dahin seinen Jobwechsel gut regeln kann. (INTERVIEW: Nina Weißensteiner, 7.1.2017)