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Jens Steiner, Jahrgang 1975, lebt als Schriftsteller in Zürich.

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Es ist nicht der Wert 8.6 auf der Richterskala, den jenes Seebeben westlich von Island verzeichnete, es sind auch nicht die Satellitenbilder vom darauffolgenden Abbruch dutzender ostgrönländischer Gletscher ins Meer, genauso wenig die Erzählungen von der neunzig Meter hohen Welle, die in der sich nach Süden verengenden Nordsee noch höher wurde und den Rhein plötzlich um das Zehnfache verbreitert rückwärts fließen ließ, in den Schleifen südlich von Koblenz kilometerhohe Fontänen werfend, dann bei Bingen nicht mehr die Kurve kriegend und sich als riesige Lache über Rheinhessen ausbreitend. Nein, etwas ganz anderes prägte sich den Menschen während dieser Katastrophe für immer ins Gedächtnis.

Es war jener bärtige Jungspund in quietschgelben Speedos, der – wie eine Luftaufnahme zeigte – sein Surfbrett am Nordturm des Kölner Doms festband, um dann auf der nordwärts zurückrauschenden Wassermasse seine waghalsigen Kurven zu ziehen. Allzu gern hätte man ihn für eine Ausgeburt der hiesigen Spaßgesellschaft gehalten, wenn nicht dieser Ausdruck auf seinem Gesicht gewesen wäre, eine unheimliche Mischung aus Unerbittlichkeit und Noblesse. Als ob er der Meister der Flut wäre, eine irrwitzige Inkarnation des alten Meeresgottes. (Jens Steiner, 6.1.2017)