Josef Seethaler: "Medien können und sollen in ganz unterschiedliche demokratische Infrastrukturen investieren. Doch nicht alle Medientypen können und sollen die gleichen Anforderungen erfüllen."

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Viel ist in letzter Zeit von einer Reform der Medienförderung die Rede. Das ist gut so. Noch besser ist, dass Medienförderung immer seltener mit Gießkannenprinzip und immer öfter mit Medienqualität in einem Atemzug genannt wird.

Doch wie ist dieser Zusammenhang zu denken? Viele Vorschläge werden auf den Tisch gelegt, manche liegen bei genauem Hinsehen schon lange dort und stammen aus einer Zeit, in der die Dimensionen des Medienumbruchs – und was noch wichtiger ist: des gesellschaftlichen Umbruchs – in ihrer Tragweite noch gar nicht abschätzbar waren (falls sie es überhaupt je sein werden).

Hier soll kein weiterer Vorschlag unterbreitet werden. Vielmehr soll es um die Grundlagen gehen, derer wir uns vergewissern sollten, bevor Vorschläge sinnvoll formuliert werden können.

Medienwissenschafter Matthias Karmasin hat diese Grundlagen im Rahmen einer von Minister Thomas Drozda veranstalteten Enquete angesprochen. Die Förderung von Medien, so Karmasin, sei eine "Investition in die Infrastruktur der Demokratie" (mehr dazu hier: Presseförderung: Drozda skizziert Reformpläne). Eine so verstandene Medienqualität bemisst sich an dem Beitrag, den Medien für das demokratische Zusammenleben leisten.

Demokratieverständnis

Das ist durchaus mehrheitsfähig. Schließlich hebt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die besondere demokratische Funktion der Medien in ständiger Rechtsprechung hervor. Die Geister scheiden sich jedoch, wenn es darum geht zu benennen, worin die "Investition" der Medien bestehen und in welche demokratische "Infrastruktur" investiert werden sollte. So unbestritten die demokratische Bedeutung von Medienqualität ist, so umstritten ist, was unter ihr zu verstehen und wie sie zu messen sei (womit wir wieder bei der eingangs benannten Vielzahl von Vorschlägen sind).

Doch die hier geführte Diskussion rund um (markt)strukturelle, organisationsinterne, angebots-, inhalts- und publikumsbezogene Dimensionen von Qualität greift in der Regel zu kurz. All diese Dimensionen sind nämlich einer selten wahrgenommenen Problematik untergeordnet: dem allzu selbstverständlich genommenen Verständnis von Demokratie.

Wie an anderer Stelle auf derStandard.at dargelegt, vollzieht sich seit geraumer Zeit nicht nur in Österreich, sondern in vielen westlichen Demokratien eine nicht ungefährliche Entwicklung: Auf der einen Seite halten die Eliten an jenem Verständnis von Demokratie fest, wie es im Wesentlichen in den staatlichen Verfassungen festgeschrieben ist und das auf Repräsentation beruht: Die Bürgerinnen und Bürger delegieren Verantwortung an dadurch legitimierte Organisationen (wie vor allem Parteien).

Auf der anderen Seite haben sich schon seit den späten 1960er-Jahren alternative Formen der gesellschaftlichen Teilhabe entwickelt, die zunächst die Diskussion über kollektiv als wichtig erachtete Themen aus den etablierten Institutionen heraus in einen freien, unabhängigen, der moralischen Konsensfindung verpflichteten Diskurs verlagern wollten, mit der zunehmenden Individualisierung der Gesellschaft aber immer stärker das Recht des Einzelnen betonen, persönliche Anliegen öffentlich zu artikulieren und an der Gestaltung des Gemeinwesens aktiv zu partizipieren.

Allein die mit diesem Bedeutungswandel von Demokratie verbundenen gesellschaftlichen Verschiebungen bergen, wie der US-amerikanische Politologe Ronald Inglehart schon vor zwei Jahrzehnten hellsichtig diagnostiziert hat, neue Dimensionen des politischen Konflikts in sich, die mit dem traditionellen Links-rechts-Konflikt nichts mehr zu tun haben. Je weniger die herrschenden Eliten diesen Veränderungen Rechnung tragen, desto eher leisten sie Enttäuschung und Radikalisierung Vorschub.

Neudefinition

Dem gilt es entgegenzuwirken – auch durch Medienpolitik. Eine Reform der Medienförderung, die diesen Namen verdient, muss nicht nur Medienqualität zu ihrem Maßstab machen, sondern diesen neu und in jener Breite definieren, die der Vielfalt der nebeneinander existierenden und einander keineswegs ausschließenden Verständnisse demokratischen Zusammenlebens entspricht. Sie muss normative Vorstellungen von universal gültigen demokratischen Qualitätskriterien über Bord werfen und dem "klassischen" Ideal einer unparteilichen, faktengetreuen Informationsvermittlung sowohl journalistische Interpretations- und Diskursleistungen als auch die Befähigung der Menschen zu politisch-gesellschaftlicher Teilhabe gleichwertig gegenüberstellen.

Es ist ja offenkundig, dass die unterschiedlichen Demokratieverständnisse auf unterschiedliche Funktionen der Medien angewiesen sind (wie in einer Studie der Rundfunk- und Telekom Regulierungs GmbH dargelegt ist):

  • Im traditionellen repräsentativen Verständnis sollen die Menschen über die politisch aktuellen Themen, Ideen und Meinungen informiert sein, um in der Wahlzelle wohlüberlegte Entscheidungen treffen zu können. Dafür braucht es möglichst "objektive", das heißt unparteilich, distanziert und sachlich vermittelte Informationen.
  • Im deliberativen Verständnis von Demokratie wird hingegen von der Öffentlichkeit erwartet, dass sie diskursiv einen Konsens darüber sucht, was wichtig ist und wie ein kollektiv wichtiges Problem am besten zu lösen ist. Dafür braucht es Kontext- und Orientierungswissen, also: Was sind die Gründe für ein Problem, wie ist es zu bewerten, wer ist dafür verantwortlich, welche Lösungsoptionen gibt es, und wer ist wovon betroffen.
  • Da von einem solchen Diskurs – entgegen der Idealvorstellung – viele aufgrund der Bildungsschwelle ausgeschlossen sind, strebt schließlich das partizipatorische Verständnis die Inklusion möglichst vieler in die demokratische Öffentlichkeit an. Um die Menschen zu gesellschaftlicher Teilhabe zu befähigen, gilt es, sie zu motivieren und zu aktivieren. Dafür sind auch Mittel wie Emotionalisierung, Personalisierung und Zuspitzung zulässig – solange sie an die Bereitschaft gekoppelt sind, entgegengesetzte Positionen ernst zu nehmen: Partizipatorische Demokratie baut auf der Anerkennung einer pluralen Gesellschaft auf.

Medien können – und sollen – also in ganz unterschiedliche demokratische Infrastrukturen investieren. Doch nicht alle Medientypen können – und sollen – die gleichen Anforderungen erfüllen. In einer diversen Medienlandschaft wird sinnvoll eingesetzte Medienförderung die spezifischen Kommunikationsleistungen der tradierten ebenso wie der (gar nicht mehr so) neuen medialen Formen in Betracht ziehen und das Potenzial von öffentlich-rechtlichen, privat-kommerziellen und privaten nichtkommerziellen Medien mit spezifischen Katalogen von Qualitätskriterien stärken. (Josef Seethaler, 10.1.2017)